Flughunde :: von Ulli Lust und Marcel Beyer

Zweierlei kann man sich angesichts dieser Veröffentlichung vorab fragen. Warum gibt ausgerechnet einer der kenntnisreichsten Fürsprecher des Comics im Feuilleton, Andreas Platthaus von der „FAZ“, der sich um dessen Emanzipation als eigenständige Kunstgattung verdient gemacht hat, eine Reihe heraus, die dem Genre seine ästhetische Autonomie wieder abspricht? Die von Platthaus für den Suhrkamp Verlag edierten Graphic Novels illustrieren ja nur die Klassiker-Backlist des Verlags, als bedürften sie immer noch des Ritterschlags durch die große Literatur. So erschienen etwa Nicolas Mahlers grafische Thomas-Bernhard-Adaption „Alte Meister“ und -vom selben Zeichner -„Alice in Sussex“ nach Lewis Carroll und H. C. Artmann.

Und warum wählt man mit Marcel Beyers Roman „Flughunde“ nun ausgerechnet ein Buch aus dem Fundus, das die akustische Alltagsgeschichte des Dritten Reichs erzählen will? Was literarisch grandios funktioniert, weil es einen Prosa-Autor wie Beyer zu besonderer sprachlicher Expressivität herausfordert -es gilt nun mal, die sonischen Sensationen des Jahrzwölfts in Sprache zu fassen – wird im Comic problematisch, weil sich das konkret Akustische hier eben nur mit den Mitteln der Onomatopoesie, also der Lautmalerei, herstellen lässt. So kann man Ulli Lust, die mit ihrem autobiografischen Debüt „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ ihr enormes Talent als Bildgeschichtenerzählerin bewiesen hat, mitunter wirklich nur bedauern. Das „RAT RAT“ und „RATATA-TATA“ und „KLINK“ und KLONK“ und „SSSSWWWSUOOO“ wirkt in seiner Massierung zum Ende hin eher hilf los-infantil und der existenziellen Grenzsituation formal nicht annähernd gewachsen.

Es sind immerhin die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs, und die beiden Protagonisten, die diese Geschichte abwechselnd aus ihrer Perspektive erzählen – der fanatische Akustiker Hermann Karnau und die älteste Goebbels-Tochter Helga -, warten im Führerbunker auf das Wunder, auf den Endsieg, an den nicht mal der Schokolade fressende Führer mehr glauben mag.

Aber die literarische Vorlage ist denn doch zu suggestiv und Ulli Lust zu einfallsreich, als dass dieser Comic grundsätzlich scheitern könnte. Seine Stärken liegen in der Visualisierung des Unaussprechlichen. Etwa wenn Lust ein paar Tropfen Schokoseim aus Hitlers Mund laufen lässt, als wäre es Blut. An solchen Stellen kann sie dem Roman durchaus noch etwas hinzufügen.

In einer der zentralen Szenen des Buches gelingt ihr das auch: in Goebbels‘ infernalischer Sportpalastrede vom 18. Februar 1943, in der er das deutsche Volk auf den „totalen Krieg“ einschwört. Sie zeichnet hier nicht nur den euphorischen Kollektivwahn treffend nach, sondern auch den kindlichen Abscheu Helgas, die inmitten dieser Massenexaltation kaum mehr atmen kann. Dagegen schneidet sie eine nur schwer erträgliche Musterungsszene, in der Karnau ,mittlerweile Leiter einer „Sonderforschungsgruppe“, einen geeigneten Probanden für die von ihm initiierten medizinischen Versuche findet.

Infolge der allgemeinen Radikalisierung des Krieges werden auch die Methoden Karnaus immer rücksichtsloser. Seine irrsinnige Empathielosigkeit, die sich schon früher zeigt, etwa wenn er als selbsternannter „Landvermesser des Menschenmaterials“ das Todesgeschrei der Soldaten an vorderster Front mitschneidet, um anschließend Ballungsgebiete einzelner Vokale zu kartografieren, wächst sich schließlich zu einer meuchlerischen Inhumanität von der Qualität eines Josef Mengele aus. Er mutiert fast zwangsläufig vom emotional unbeteiligten, „bloß“ wissenschaftlich interessierten Belauscher der Gräuel zum Täter, der grauenvolle Vivisektionen anordnet, um endlich der Stimme auf die Schliche zu kommen, dem „geformten Atem“, der in seiner Privatmysteriologie die Essenz des Menschen, seine Seele beherbergt.

Grandios, wie Lust in der erwähnten Musterungsszene den dehumanisierten Seziermesserblick Karnaus nachahmt und immer nur einzelne Körperteile ins Bild setzt und wie sie, gerade weil sie völlig in der Rollenperspektive des bedenkenlosen Forschers aufgeht, dessen Mitleidlosigkeit entlarvt und die Qual des Opfers nur umso eindringlicher zeigt.

Einen Vorteil gegenüber dem Roman hat der Comic natürlich vor allem in der Darstellung des Sets. Das zerstörte Berlin, Goebbels‘ idyllisches Anwesen auf dem Lande, die NS-Machtinsignien, der Bunker etc. – für all das braucht Beyer viele Worte, um es zu schildern, Lust gelingt das ganz unmittelbar, mit ein paar treffenden Strichen. Eine besonders komplexe Funktion übernimmt dabei ihre Farbgebung.

Indem sie einzelnen Szenen bestimmte Grundfarben zuweist, etwa das typische NS-Braun und das Wehrmachts-Grau für das Sportpalast-Szenario, ein strahlendes Orange für das Spiel der Goebbels-Kinder, das bereits verräterisch die fatale Ideologie widerspiegelt, evoziert sie nicht nur Atmosphären und Stimmungen, sondern kommentiert sie auch zugleich auf artifizielle Weise. (Suhrkamp, 24,99 Euro)

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