Gary :: „Hey Turtle, Stop Running!“
Stadlober und Freunde schrammeln immer noch sehnsüchtig.
Ein Freund, mit dem ich heute nichts mehr zu tun habe, hat mal berichtet, wie die Lemonheads Ende der 80er-Jahre bei ihm zu Hause im Jugendhaus gespielt hätten. Dass er und seine Freunde nachmittags noch mit den Musikern zum Baggersee gefahren seien – als er uns das erzählte, zur größten Surferheldenzeit von Evan Dando, waren wir alle wahnsinnig neidisch. „Wir sind hier nicht in Seattle“, erinnerte uns Dirk von Lowtzow zur Sicherheit, und dieses neue Album der Band Gary könnte man genau so hören und verstehen: als späte Verarbeitung des Traumas einer halben deutschen Jungsgeneration, in keinem der coolen College-Alternative-Slacker-Orte gewohnt zu haben, als es mal wirklich darauf ankam.
Man muss die Band (Berlin/Hamburg) nicht darauf reduzieren, nachdem sie schon jahrelang darauf reduziert wurde, dass der Schauspieler Robert Stadlober ihr Sänger und Songschreiber ist. Aber sie legt die Fährten selbst, vor allem in einem Stück, in dem Pavement-Konzerte, Sebadoh-Kassetten und SST-T-Shirts erwähnt werden. Und genau so grollen, bimmeln und schrammen die Gitarren, fließen die Melodien wie Orangensaft, wird die Rolle der Juliana Hatfield (Evans Emmylou Harris!) grandios von Keyboarderin Astrid gespielt. Das Großartige, manchmal Herzzerreißende an Gary ist, dass es ihnen gut hörbar gar nicht darum geht, ihre Vorbilder zu imitieren, sich in sie hineinzuversetzen. Dass sie auch heute nicht so tun, als wären sie dabei. Dass sie diese Musik mit der Attitude einer Kinderbande am letzten Sommertag spielen, verwildert, sehnsüchtig nach sich selbst, leicht atemlos. Aufrichtig. Und so werden auch die kleinen Platten richtig gut. (Siluh/Alive) Joachim Hentschel
Beste Songs: „Twisted Beds“, „You, Lou And Stephen Ca. 1995“