Georg Brunold :: Nichts als der Mensch

Dieses 720-seitige Florilegium im Folio-, vulgo Telefonbuchformat ist mehr als ein Buch für die einsame Insel. Es ist die Bibel für den säkularen Geist. Brunold schreitet die mehrtausendjährige Geschichte der Schriftkultur ab und sammelt aus allen Epochen anthropologische Denkwürdigkeiten von den großen Philoso-phen, Belletristen, Journalisten und Quadratspinnern. Nichts Menschliches ist ihm fremd und seinen Gewährsleuten schon mal gar nicht. Und so geht es in diesem Buch um die ganz wichtigen Fragen der conditio humana – etwa der, wie man ein „Mädchen erobert“. Ovid rät im Jahre 1 n. Chr. zu „nachlässiger Schönheit“, aber „unter den Achseln soll nicht der stinkende Bock, der Herr der Ziegenherde, hausen“. Marcel Proust trägt sein nicht minder aktuelles „Lob der schlechten Musik“ bei, die wir heute als Pop bezeichnen. Ihr Wert „in der Geschichte der Gefühle“ sei gar nicht hoch genug zu veranschlagen, denn je häufiger man sie spiele, „desto mehr füllt sie sich allmählich an mit den Träumen, den Tränen der Menschen“. Pop als außerordentlich leis­tungsfähiger Emotionsakku – eine aparte Ehrenrettung! Albert Londres inspiziert 1925 die französischen Irrenhäuser, in die man leicht hineingerät, aber offenbar kaum mehr hinaus. Joseph Roth schreibt bereits 1930 eine bittere Polemik gegen die „Misswahl“, die ihn an jene Tradition erinnert, als Frauen noch „auf öffentlichen Märkten dargeboten wurden“. Und Norman Mailers grandiose Illumination der Mondlandung von Apollo 11 fehlt ebenso wenig wie Philip Zimbardos Versuchsbeschreibung des legendären Stanford-Gefängnis-Experiments, das den Beweis erbringt, dass in jedem von uns ein Sadist steckt. Brunold kaum auszulesender, leider auch sehr unhandlicher Trumm versammelt nicht nur immenses Weltwissen, er ist zugleich eine gewaltige Leis­tungsschau der Kunstform Essay. (Galiani , 85  Euro)

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