Glücklich die Glücklichen :: Yasmina Reza

Erich Kästner schrieb einmal: „Einsam bist du sehr alleine – und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.“ Der kleine Vers passt auch auf Odile und Robert, die sich im Laufe ihrer Ehe auseinandergelebt haben. Was vom einstigen Glück geblieben ist, sind alltägliche Sticheleien und Provokationen. Das Paar Toscano ist dabei aber nur ein Fall unter den vielen einsamen Zeitgenossen in Yasmina Rezas lebenserfahrenem Roman „Glücklich die Glücklichen“. So hofft die Arzthelferin Virginie Dérelle, die erfolglos für den Sohn einer Patientin schwärmt, ähnlich ihrem Chef auf seinen geheimen Beutezügen im Schwulenmilieu vergebens auf die große Liebe. Süffi sant-melancholisch eröffnet die französische Bestseller- und Theaterautorin Reza in inneren Monologen ganze Seelenräume, wobei sie jedem ihrer Helden von trauriger Gestalt einen ganz eigenen Ton angedeihen lässt. Klagen sie allesamt über ihre Einsamkeit, hüten sie sich zugleich davor, ihr Leid mit anderen zu teilen. Sie sind verstörende Hüter bürgerlicher Fassaden, hinter denen der Schmerz verschlossen bleiben muss. Ähnlich der letzten Werke Rezas sind es auch in diesem hellsichtigen Text die doppelten Böden, unter denen die Abgründe erst hervortreten. Ein Gesellschaftsporträt voll psychologischer Finesse. (Hanser , 17,90 Euro) BJÖRN HAYER

Frank Goosen

Goosens Raketenmänner sind Wiedergänger von Elton Johns „Rocket Man“: also eher nolens denn volens aus der Umlauf bahn geschleuderte Alltagsmenschen, meistens Ehemänner oder Familienväter, die zu viel Verantwortungsbewusstsein besitzen und zu sehr an ihrem Platz hienieden hängen, als dass sie sich so einfach davonstehlen könnten. „Mars ain’t the kind of place to raise your kids“, singt die alte Brillenschlange. „In fact it’s cold as hell/And there’s no one there to raise them if you didn’t.“

Also hadern sie alle ein bisschen mit ihrem Schicksal und machen trotzdem weiter. Sie sind zwar nicht die geworden, die sie sein wollten, aber doch ganz gute Typen. Der dicke Reporter Kamerke etwa. Von seiner Frau betrogen, zieht er ein paar Wochen als Journaillen-Spesenritter durchs Land, versucht sich zu rächen, verzeiht ihr dann aber doch und kehrt geläutert zu ihr zurück. Vorher hat er sich vom großen Randy Newman, den er aushilfsweise interviewen darf, segnen lassen. „Ich wünsche Ihnen viel Glück. Und bleiben Sie fett!“ Oder Sabolewski, der seinen todgeweihten Rocker-Vater (Session-Sidekick bei „Rumours“, Bettgefährte von Stevie Nicks etc.) nach 40 Jahren erstmals wiedersieht und sich mit ihm aussöhnt, weil er für Hass mittlerweile zu alt ist. Oder Wenzel, der ausgerechnet einen heruntergekommenen Plattenladen kauft, weil er etwas Zukunft will, einen Ort, wo er hingehört.

Goosen, der gute Mensch aus Bochum, singt in diesen locker, aber durchaus mit narrativer Finesse verzahnten Geschichten das Hohelied der Familie, Freundschaft und Liebe. So angekitscht wie nötig, so trocken und lakonisch wie möglich. Nur gelegentlich kontrastiert er die klassische Short-Story-Diktion mit einem schönen Witz. Kabarettistische Einlagen verkneift er sich fast ganz. Die Pointen wirken allesamt dem Leben abgelauscht und nicht im Comedy-Folterkeller erzwungen. Und vor allem kann man über seine grandiosen kleinen Antihelden lachen, ohne dass er sie bloßstellen würde. (Kiepenheuer & Witsch, 18.99 Euro) FRANK SCHÄFER

Sabine Scho

Ob königliche Menagerie, privater Tierpark oder Geo-Zoo – die Lyrikerin Sabine Scho hat sie alle besucht. Sie hat sich von Tieren ansehen lassen, den Blick erwidert und sodann auf die Gitterstäbe, Gräben und Glasscheiben gerichtet, auf Mauern, Zäune und großräumige Gehege. Selbst den unbetretbaren Zoo von „El Patrón“ – dem kolumbianischen Drogenbaron Pablo Escobar, der auf seiner Hacienda Löwen, Elefanten und Flusspferde hielt – hat sie poetisch in Augenschein genommen. „Tiere in Architektur“ erkundet auf so vielfältige, sowohl sprachlich als auch fotografisch spielerische Weise das Verhältnis von Mensch, Tier und Behausung, dass der Leser aus dem Staunen und Grübeln nicht mehr herauskommt. Über die Frage, ob ein Zoo mit seiner Unterhaltungsarchitektur nun Tierquälerei sei oder dem Artenschutz diene, geht das schmale Bändchen weit hinaus. Die Texte der in Berlin und São Paulo lebenden Autorin, die einst von Thomas Kling entdeckt wurde, balancieren auf der Grenze zwischen erzählender wie essayistischer Prosa und Gedicht; bildersatte Geistesblitze finden darin ebenso Platz wie neckische Wortspiele, philosophische Betrachtungen und Kalauer: „Auch ein blinder Hahn endet einmal im Kugelhagel.“ Ein so gleichermaßen schönes, anregendes wie geistreiches Buch gehört einer seltenen Spezies an. Man sollte es nicht in ein Regal sperren, sondern hegen, pflegen und lesen. (Kookbooks, 19,90 Euro) ALEXANDER MÜLLER

Charles Bukowski

Bukowski liebte seine Kolumne „Notes of a Dirty Old Man“. Er unterhielt sie von 1967 bis 1976 in diversen US-Underground-Blättern, und sie begründete auch insofern seinen Weltruhm mit, als der markige Titel ihn leichter zum Markenprodukt machte. Nach dem Besuch der Pferderennbahn setzte er sich an die Maschine, „und das Schreiben erledigte sich von selbst“, konstatiert er im Vorwort zur Buchausgabe. „Ich saß einfach am Fenster, kippte mein Bier und ließ es kommen.“ Die Kolumne war vermutlich der adäquateste Aggregatzustand seiner Produktion, weil sie ihm absolute Freiheit ließ und alles aushielt, was sein kranker Geist ihm eingab. Die bekannten Geschichten von desolaten Zechtouren, Kneipenschlägereien und Schmuddelsex mit psychotischen Weibern. Hassgetränkte Kindheitserinnerungen. Polemische Ausfälle gegen die Eierköpfe der Mainstream-Literatur, aber eben auch liebevoll-sarkastische Porträts seiner Hausheiligen. Einigermaßen krude, sich mit allen politischen Gruppierungen verscherzende Besinnungsartikel zur Lage der Nation. Und immer wieder obsessive Selbstgespräche über sein Leben und seine Rolle als Schriftsteller am Rande der Gesellschaft.

Was es bisher unter dem Titel „Aufzeichnungen eines Dirty Old Man“ in Buchform zu lesen gab, war eine von Bukowski selbst getroffene Auswahl. Jetzt hat der Buk-Kenner David Stephen Calonne weitere Kolumnen und artverwandte Texte in einem zweiten Band versammelt. Der gehört unbedingt dazu, weil er noch deutlicher zeigt, was sich der Kolumnist alles leisten konnte. Reportagen in Gonzo-Manier haben ebenso Platz wie ein Interview mit seinem ersten Verleger Jon Webb, Tagebuchnotate und sogar Aphorismen. Aber egal welches Genre er sich anverwandelt, er dreht es erst mal richtig durch den Wolf und macht sein ganz eigenes „Dirty Old Man“-Ding daraus. (S. Fischer, 19,99 Euro) FRANK SCHÄFER

John Banville

„Madame Erinnerung ist eine große, raffi nierte Simulantin“, auf die es John Banville in „Im Lichte der Vergangenheit“ mal wieder abgesehen hat. Der Band fügt sich – nach „Sonnenfinsternis“ und „Caliban“ – in die Romantrilogie um den undurchsichtigen Literaturwissenschaftler Axel Vander, vor allem aber um den ausgebrannten, in unterkühlter Ehe lebenden Bühnenschauspieler Alex Cleave, dessen Tochter vor zehn Jahren aus ungeklärten Motiven in Italien Selbstmord beging. Denn „Madame Erinnerung“ ist zugleich ein raffi nierter Stimulator: Die Reise in die Vergangenheit, als Alex 15-jährig eine stürmische Affäre mit der 35-jährigen Mutter seines besten Freundes hatte, bildet das Zentrum dieser für den Iren Banville so typisch plotarmen, dafür literarisch anspielungsreichen Geschichte. Dass bei dieser unermüdlichen metapher- und detailversessenen intellektuellen Schnitzeljagd nicht selten sprachlich prätentiöse Beute erlegt wird, muss man in Kauf nehmen. Einige Rätsel werden gelöst, neue entstehen: „So oft erscheint einem die Vergangenheit wie ein Puzzle, bei dem die wichtigsten Teile fehlen.“ Etwa der, der die pädosexuelle Neigung dieser zweifachen Mutter, die nicht mit einer selbstbestimmten Mrs.-Robinson-Liebelei erklärt werden kann, beleuchtet. Aber vielleicht ist die Erinnerung wirklich so gerissen, wie Banville durchscheinen lässt. (Kiepenheuer & Witsch, 19,99 Euro) PHILIPP HAIBACH

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