Gunter Gabriel – Freiheit ist ein Abenteuer, 1970-82

Heute dümpelt er auf einem Hausboot im Hafen von Hamburg-Harburg und ist berühmt an der nahen Imbissbude, wo er sich vom Mann von der Straße seine Bodenständigkeit bescheinigen lässt. Für die Fernfahrer singt er jetzt und für unsere Jungs im Kosovo, eine dankbare Klientel.

Die Vita des Günther Caspelherr ist eine bizarre deutsche Lebensgeschichte: Der Mann war Gelegenheitsarbeiter und Gärtner, Herumtreiber und Gammler, Suffkopf und Ehebrecher, DJ und Lastwagenfahrer und Bauarbeiter, und 1973 sang er „Hey Boss, ich brauch‘ mehr Geld“, war plötzlich reich, textete auch noch „Ich trink auf dein Wohl, Marie“ (Frank Zander), „Wenn du denkst, du denkst“

(Juliane Werding) als auch „Ein Sonntag im Bett“ (Wencke Myhre), nahm eine Platte nach der anderen auf – und war Ende der siebziger Jahre natürlich wieder pleite.

Richard Weize hat hat in unnachahmlicher Fleißarbeit diese Vignetten deutschen Lebens, gespielt als Wechselbalg aus Country und Schlager, auf fünf CDs zusammengetragen. Schon das üppige Fotoalbum nebst bravem Begleittext erzählt die ganze Geschichte einer Nachkriegsjugend, eines Malochers und „Gitarrehackers“, so Gabriel, der in der Berliner Pinte „Dachluke“ die Platten auflegte, wo die Helden der „ZDF Hitparade“ nach der Sendung abstürzten. Mit „Morgen“ (B-Seite: „Wie ein Baum“) durfte er dann, nicht mehr ganz so jung, selbst mal vors Mikrofon. Bobby Ford nannte er sich kurz, bevor er Gabriel wurde, und Kristoffersons „Me And Bobby Mc-Ghee“ verwandelte er in „Freiheit ist ein Abenteuer“: „Klitschnass war’n ihr Hemd und ihre Jeans/ So stand sie an der Autobahn, als der Regen fiel…“

Gunter Gabriel feiert auf genuin heimische Weise das schlechte, jedenfalls gewöhnliche Leben, den Fusel, das Ethos des arbeitenden Mannes mit dem Hammer in der Hand, die Frau, die keine Umstände macht, und den Mythos von Straße und Unterwegssein. Die Ideen stammten von Tim Hardin, Waylon Jennings und vor allen Johnny Cash, aber der hatte „One Piece At A Time“ ja auch nicht geschrieben, jenen stupend komischen Song, den Gabriel als „Ein Stückchen pro Tag“ nacherzählte. Cash lernte er später, als der große Erfolg (für beide) vorbei war, in Nashville kennen, und der Mann in Schwarz schenkte ihm eine Jacke aus einer Bühnen-Garderobe, die Gabriel freilich noch heute aufbewahrt.

Die Lordsiegelbewahrer des Authentischen lassen derlei Nachdichtung nicht gelten, doch Gabriel hat auch Originelles verfasst und sehr Anrührendes: „Komm unter meine Decke“ etwa, „Papa trinkt Bier“, „Komm und hilf mir durch die Einsamkeit der Nacht“, „Dies ist mein Land“ (ein früher Fall für die Virginia jetzt!-Heimat-Diskussion!). Das schönste Lied ist „Fünf Uhr morgens“, ein Rezitativ im Knef-Stil über das Dämmern in Deutschland: „Neben mir saß einer, der hatte zehn Glas Bier und war völlig hinüber/ Der hat erzählt von damals, das Bauernhaus bei Königsberg/Vergilbte Familienfotos, der Krieg, die Nazis, die Sozis/ Und jetzt die linken Langhaarigen/ Was soll bloß aus Deutschland werden?“ Es ist eine kleine Sozialgeschichte von unten, eine Chronik der 70er Jahre und ein Schlaglicht auf die kaputte Kriegsgeneration in Deutschland. Die Musik, die man vielleicht früher zu solchen Texten gespielt hätte, war zertrümmert worden – deshalb lieh sich Gunter Gabriel eine fremde Folklore.

Und jede Raststätte spielte seine Lieder.

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