Ian Hunter – You’re Never Alone With A Schizophrenic
Der Titel, der lan Hunter am Ende für seine vierte Solo-LP einfiel, zählt zweifellos zu den originelleren in der Geschichte der Rockmusik. Seinerzeit von der Kritik in England ziemlich ungnädig verrissen, gilt die Platte in vielen Zirkeln und zumal unter seinen Bewunderern als das Opus magnum seiner Solo-Karriere.
Was für jemanden, der sich bei seinen letzten Platten in einem kreativen Hoch präsentierte, auch etwas peinlich sein könnte. Denn das würde ja auch implizieren, dass er seinen schöpferischen Höhepunkt schon seit mehr als drei Jahrzehnten überschritten habe. Aber lan Hunter kann, wie man seinen Anmerkungen in den Liner Notes zu dieser erweiterten Deluxe-Ausgabe entnehmen darf, damit leben. Das seien einfach ganz fabelhafte Sessions gewesen, die er damals mit den drei bei Bruce Springsteen ausgeliehenen Herren Bittan, Weinberg und Tallent, mit seinem Kumpel Mick Ronson als Gitarrist und Co-Produzent, gelegentlich in der Power Station in New York vorbeischauenden Gastmusikern wie John Cale und nicht zuletzt dem höchst talentierten Jungspund Bob Clearmountain am Mischpult erlebt habe. Letzterer sei für den tollen Drum Sound zu loben, den er damals mit Max Weinberg aufnahm.
In den Liner Notes zu dieser zweiten Remaster-Edition (die erste veröffentlichte Chrysalis schon mal 1994) gibt sich Hunter überzeugt davon, dass seine englischen Kritiker ihn so schäbig behandelten, weil er sich längst ins selbstgewählte amerikanische Exil begeben hatte und mit den Pressionen der Klassengesellschaft daheim nichts mehr zu tun haben wollte. Verbitterte Spekulationen, die nach all den Jahren kaum mehr überprüfbar sein dürften.
Letzter Song der Platte ist „The Outsider“, eine elegische Ballade, die Hunters Lebensgefühl zu der Zeit reflektierte (und ursprünglich auch Titel der LP sein sollte). Es ist ein pathetisches, dabei aber nicht selbstmitleidiges Bekenntnis, das dritte von drei langsamen Stücken der LP-B-Seite. Das erste, „Standin‘ In My Light“, ist laut Liner Notes als ein Stück Autobiografie zu verstehen, nämlich eine ganz unversöhnliche Anklage, gerichtet an die Adresse von Manager Tony DeFries. Zu dessen Klienten gehörte neben Hunter und Ronson auch David Bowie. Die drei hatten über die Jahre hinweg bekanntlich schon viel miteinander zu tun gehabt. Was vielleicht erklärt, dass „Life After Death“ – das feinste Stück Glam-Rock dieser LP schon ziemlich Bowie-esk klingt. Noch größerer Beliebtheit erfreuten sich auf Dauer „Cleveland Rocks“ und das ungeniert sentimentale „Ships“.
Ähnlich sentimental klingt – verständlich bei einem Lied über gebrochene Herzen – das Piano-Demo „Don’t Let Go“, eine von fünf Zugaben auf der ersten CD, ein Studio-Outtake wie Früh-Fassungen von drei weiteren („Ships“, „The Other Side Of Life“ und „When The Daylight Comes“) auch. Als Rausschmeißer gibt es zweieinhalb Minuten Jerry Lee Lewis und „Whole Lotta Shakin‘ Goin‘ On“, die Band groß in Form.
Klanglich findet man das ganze Studiomaterial vom bewährten Team Bill Inglot/Dan Hersch noch einmal deutlich aufgenordet. Die Live-Aufnahmen der zweiten CD, 1979 bei Konzerten in Berkeley, Cleveland und im Hammersmith Odeon in London mitgeschnitten, bieten gehobene Bootleg-Qualität.