Irreversible von Gaspar Noé :: (Start 11.9.)

Am Ende steht unfassbare Zärtlichkeit. Vincent Gisseil und Monica Bellucci liegen im Bett. Es ist dieser Moment eines absoluten, gleichwohl flüchtigen Glücksgefühls. wenn man beim Erwachen den Menschen neben sich spürt, sich an ihn presst, den Duft einsaugt. Er streichelt sie, flüstert liebevolle Anzüglichkeiten, sie kichert und schäkert. Dann toben sie wie Kinder in den Laken herum, stehen auf und küssen sich innig unter der Dusche.

Doch dies ist kein Happy End. Denn Gaspar Noe erzählt die Geschichte rückwärts, von der Finsternis zurück zum Paradies, als dämmere man durch einen Albtraum wieder ins Licht. Am Anfang wird man in einen Höllenschlund gezogen, mit einer undurchdringlichen Kakophonie aus Farben, tosenden Bildern und Geschrei. Ein, zwei, drei Minuten vielleicht geht das so, jedenfalls im Kino eine Ewigkeit, bis einem die Augen schmerzen. Man nimmt nur sukzessive Details wahr, die sich erst nach etwa der Hälfte des Filmes zu einer verständlichen Erklärung formen werden.

„Irreversible“ besteht aus zwölf Akten. Jeder endet am Anfang des vorherigen Abschnitts, und jedes Mal hat sich nicht nur die Geschichte aufgehellt, sondern auch das Bild. Erst erkennt man Marcus (Vincent Cassel), als er in einen Krankenwagen verladen wird. Dann sieht man, wie er einen Mann erschlägt, durch einen Samdomaso-Gub tobt, mit seinem Begleiter Pierre (Albert Dupontel) auf den nächtlichen Straßen von Paris jemanden sucht, schließlich erfahrt man, was seinen Zustand ausgelöst hat Seine Freundin Alex (Monka Bellucci) wurde vergewaltigt und halb tot geprügelt, und er hat also blutige Vergeltung geübt.

Bei der Premiere letztes Jahr in Cannes hatten da schon etliche Zuschauer den Saal verlassen. Zum Skandal wurde aber die folgende Sequenz, die an Konsequenz beispiellos gezeigte Vergewaltigung. Fast eine Viertelstunde lang ist man wie Bellucci der Gewalt ausgesetzt, purem Grauen in Echtzeit, quälerisch realistisch. Kein Schnitt, kein Wechsel der Perspektive vertuscht oder manipuliert die Situation, bei der die Zeit so still zu stehen scheint wie die Kamera.

Der Vorwurf der Pornografie, immer schnell formuliert, ist mal wieder dämlich. Selbst wenn es Voyeurismus ist, hat der Zuschauer eher das Gefühl der Hilflosigkeit, ein Mittäter zu sein. Die schockierende Szene ist ein Brückenkopf unserer Instinkte, Als Alex mit Marcus und ihrem Ex Pierre frotzelt, wer sie besser befriedigt, wird die Trennlinie sehr brüchig. Das marginalisiert nicht das Verbrechen, sondern erschüttert unser Selbstverständnis. So kehrt im Schlussakt auch nicht die Unschuld zurück, sondern geht sie tieftraurig noch mal verloren.

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