Jamie Lidell :: Perfekter Pastiche: Der Elektro-Fuchs reist in die 80er-Jahre
Ende der 90er-Jahre wurde Jamie Lidell in den puristischen Techno-Kellern, in denen er damals auftrat, noch bestaunt wie ein Kalb mit zwei Köpfen: ein Elektro-Musiker mit Soul in der Stimme! 2008 hat der in England geborene Sänger und Musiker dann eine Art elektronisches Motown- Album aufgenommen. „Jim“ war süffig wie ein Gläschen Southern Comfort, hinterließ manchmal aber auch einen ähnlich süßlichen Nachgeschmack. Den Vorwurf, zu viel aus dem Retro-Fass genascht zu haben, konterte Lidell damals: „Ich habe mir meinen elektronischen Maschinenpark angesehen und gedacht: Das klingt alles so alt, so wahnsinnig nach den 90er-Jahren. Für mich ist das Retro-Musik.“
Und jetzt hat er sich für den Funk der Achtziger entschieden: „Jamie Lidell“ ist ein Mega-Monster-Maxi-Mix aus den Trademark-Sounds von Prince, George Clinton, Cameo, The Time und der knalligen Seite von Michael Jackson. Der Beat von „I’m Selfish“ bockt wie einer dieser elektrischen Bullen, die man in rustikalen amerikanischen Kneipen findet. Über einer nervös ratternden Bassline türmen sich die wunderbar übersteigerten Analog-Synthie-Sounds der Jahrgänge 1984ff. Manchmal führt das zu Klischees: „Big Love“ klingt wie ein Mix aus den Soundtracks zu „Ghostbusters“ und „Beverly Hills Cop“ – sehr stromlinienförmig, sehr glatt und seit Ewigkeiten sehr gut bekannt.
Trotzdem ist es beeindruckend, welche Kapriolen Jamie Lidell dazu mit seiner Stimme schlägt. Den hohen Kopfgesang von Prince trifft er besonders gut. Auch schön, dass es immer wieder Stücke gibt – wie das gewaltig rockende und grollende „What A Shame“ -, die den 80er-Jahre-Funk-Rahmen aufbrechen. Doch so bekannt einem diese Sammlung von musikalischen Versatzstücken manchmal vorkommt, so brillant ist sie auch gemacht – man kann sich ihr kaum entziehen. Würde jemand „Jamie Lidell“ durch einen Zeittunnel zurückschicken in die Zeit von Harold Faltermeyer und Eddie Murphy, das Album wäre die heftigste Konkurrenz von, sagen wir mal, „Around The World In A Day“.
Im Prinzip ist das alles so rückwärtsgewandt wie „Time’s All Gone“ von Nick Waterhouse – nur dass eben ein anderer Sound und eine andere Zeit im Mittelpunkt stehen. Aber wie Waterhouse macht auch Jamie Lidell seine Sache verdammt gut: elf perfekte Club-Tracks, die man gern so bald wie möglich auch live erleben möchte. Im März tut er uns den Gefallen, mit vier Konzerten. (Warp/Rough Trade) Jürgen Ziemer
Christopher Owens