JANDEK :: Berlin, HAU 1

Die Legenden sind dem amerikanischen Outsider-Artist um Jahre voraus. Nun spielte er erstmals ein verstörendes Konzert in Deutschland

All die Jahre war er die geschundene Kreatur, die aus einem dunklen Loch heraus ihren Weltekel in die texanische Wüste schrie, dass einem angst und bange wurde. Jandek, dieses Phantom unter den US-Songwritern, das vermutlich aus Houston, Texas stammt, vielleicht bürgerlich Sterling Richard Smith heißt und mutmaßlich 66 Jahre alt ist. Sein erstes von insgesamt über 60 Alben erschien 1978, dann dauerte es 26 Jahre, bis er sich mit seinen Songs in die Öffentlichkeit wagte. Und an einem Abend im April 2012 steht der Mann, dessen Erscheinung man nur von den verschwommenen Bildern auf seinen Covern kennt, leibhaftig vor einem. Auf einer Theaterbühne. Nun ist seine quälende, beklemmende Musik, gegen die die ersten Platten der Palace Brothers klingen wie ein verschollenes Beatles-Album, also keine Outsider-Art mehr oder autistischer Dilettantismus, sondern hohe Kunst.

Hager ist er, ganz in Schwarz gekleidet. Mit Hut und Zauselbart mutet er an wie das fehlende Glied in der Ahnenreihe zwischen Moondog und Will Oldham. Das Publikum hält den Atem an: Ist er das wirklich? Keiner klatscht, keiner sagt ein Wort, als Jandek seine Gitarre einstöpselt, den Verstärker anknipst und mit seinen Begleitmusikern – Richard Youngs am Cello und Alex Neilson von den Trembling Bells am Schlagzeug – die ersten Töne in den Raum schiebt. Ein schleppender atonaler Blues, der nach einigen Takten schlagartig rückwärts zu laufen scheint, um sich kurz darauf in eine Art Jazz zu verwandeln – würde ganz gut auf Eric Dolphys „Out There“ passen. Erst als der letzte Ton des Instrumentalstücks verklungen ist, wagt das erstaunlich junge Publikum – könnte ein Hauptseminar für Neue Musik der Universität der Künste sein – einen verhaltenen Applaus. Jandek wechselt ans Klavier, kein Lächeln, kein „Hallo“, mit seinen Musikern kommuniziert er nur über Blicke. Er scheint zu tasten auf den Tasten, die Stimme folgt den Händen. „I killed you with my words/ I so wanted you to go away“ – eine Melodie gibt es nicht, eine Struktur lässt sich erahnen. Es braucht eine Weile, bis aus den Klängen und Bildern, von denen man anfangs denkt, sie würden nur vom Mythos, der sich um diese Figur rankt, zusammengehalten, im Kopf der Zuhörer Lieder werden. Das Cello ächzt und knarrt wie ein Schiffswrack auf dem Meeresboden.

Jandek erträgt den Applaus apathisch, schaut auf die weißen und schwarzen Tasten, spielt ein paar zerschossene Akkorde und singt, ächzt von roten Rosen am Sarg der Liebsten. Denkt man jedenfalls. Die Töne setzen sich wie zufällig zu einer romantischen Melodie zusammen, und der Künstler jammert verzweifelt „I did not know you“.

Jandek wechselt mit seiner schwarzen Kladde, die gefüllt ist mit beunruhigenden, poetischen, in seiner Intonation oft Furcht einflößenden Zeilen, zwischen Klavier und Gitarre, spielt abgenagten Avantgarde-Jazz, skelettierten Selbstmörderblues und klappernden Geisterfunk. Dabei zelebriert er einen dunklen Existenzialismus und Leidensdruck, wie man ihn in dieser Intensität, mit dieser Entschiedenheit sonst nirgendwo findet. Kurt Cobain war dagegen Bastian Pastewka. „I don’t want to play this game anymore“, heult Jandek zu Drones und Windspiel, „I don’t have a will to live in this body anymore.“ Er senkt den Kopf, scheint für Minuten im Schwarz des Bühnenvorhangs zu verschwinden – „I’m hiding in a mist of not-being“.

Nach etwa einer Stunde verlassen die ersten der etwa 100 Zuhörer unter nachsichtigen Blicken und connaisseurhaftem Lächeln der Verbleibenden den Raum. Jandek schlägt, als wollte er sie zurückgewinnen, eine hübsche, japanisch anmutende Spieluhrmelodie an. „Kill that sex thing“, murmelt er dazu, „it doesn’t suit you – you lose your power.“ Erscheint das freie Spiel von Neilson und Youngs im Verlauf des Konzerts immer gewöhnlicher, fast schon störend banal, werden Jandeks Parts und Posen von Song zu Song elektrisierender. Er windet sich, während er mit dem Bottleneck über den Gitarrenhals fährt und sein Instrument klingen lässt wie eine hawaiianische Zahnarztpraxis. Er streicht einen atonalen Zeitlupen-Jangle. Er brüllt und er brummt. Die Lichter flackern, und die Gitarrensaiten schwingen sich zu einem „A Day In The Life“-artigen Crescendo, weit über die Schmerzgrenze hinaus. Die Reihe vor mir steht geschlossen auf. Als die Sicht auf die Bühne wieder frei ist, ist Jandek verschwunden. Die Geräusche des Abends kommen in der Nacht verkleidet als Albtraum zurück.

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