Jazz von Klaus von Seckendorff

Daß Bugge Wesseltoft sein Hip-Hop-Jazz-Projekt NEW CONCEPTION OF JAZZ nennt, ist eben doch mehr als ein weiterer ironischer Gag („Breen’n Glue“ betitelt er in Anspielung auf „Blue In Green“ 13 atmosphärisch dichte Minuten mit dem Trompeter Nils Petter Molvaer). Mit „Sharing“ (Jazzland/Polygram), der neuen Doppel-CD des norwegischen Pianisten mit deutlichem Hang zu Loop, Sample & DJ-Einsatz in Kombination mit akustischen Instrumenten, wird klar, daß Wesseltoft tatsächlich ein eigenes Genre geschaffen hat: zu wagemutig und romantisch-intim, um trotz mannigfacher Tauglichkeit als Dancefloor-Jazz zu gelten, dennoch stärker an Techno und House orientiert als an traditionellem Jazz. Wenn Bugge seine sanften Visionen inszeniert, flüstert er am liebsten wörtlich genommen und als Minimalist der Tasteninstrumente. Aber kaum ist man andächtig versunken in hypnotische Klanglandschaften, startet er samt Bläsersatz fast schon derb groovend durch – um im nächsten Moment zerbrechlichste Duo-Musik zu entwickeln, mit der Sängerin SIDSEL ENDRESEN, seiner Partnerin beim Geniestreich „Duplex Ride“ (1988). Erst jetzt wird hierzulande auch der im Duo aufgenommene Vorgänger „Nightsong“ (ACT/Edel Contraire) von 1994 veröffentlicht. Auch bei diesem ergreifend schönen Nachtlied, quasi als Vorübung zum Opus magnum: gewagter A-capella-Gesang („Chain Of Pools“!), und wenn überhaupt, dann hochgradig verfremdender Umgang mit Jazz-Standards („The Lady Is A Tramp“ – vom afrikanischen Daumenpiano begleitet). Für Norwegens ganz und gar eigenständige Szene: zweimal 4,0

In Oslo entsteht auch nach wie vor jener nordische Jazz, wie ihn Fans des ECM-Labels lieben. Der aus Moldawien stammende Pianist MISHA ALPERIN (Moskow Art Trio) hat sich unter dem bezeichnenden Titel „North Story“ dieses Terrain schon 1997 erschlossen. Daß er nun in nahezu identischer Besetzung „First Impression“ folgen läßt, mag sich daraufbeziehen, daß der schon seit den Siebzigern skandinavisch orientierte Brite John Surman seinen Sax-Kollegen Tore Brunborg ersetzt. Vertraut elegisch Wirkendes mündet in einen überraschenden „City Dance“, der wie das folgende „Movement“ mit Percussion-Gast von aufsässigem Witz und Lust am Tänzerischen zeugt. Sanfte Kontemplation, über drei Impressionen hinweg ein Klaviermotiv verarbeitend, federt diese spannende Irritation gründlich ab. 3,5

Was in Deutschland sonst kaum einer zustande bringt, schütteln Hellmut Hattler und Jo Kraus locker aus dem Ärmel: HipHopJazz, für Background und Dancefloor gleichermaßen geeignet wie fürs Zuhören. War „Sonic Tools“ (1997) erklärtermaßen ein Remix bewährter Bastelarbeiten aus dem Hause TAB TWO, so fällt beim Nachfolger „Between Us“ (Polydor) auf, daß die Ulmer Jungs in die Falle ihrer soeben gerühmten Fähigkeiten geraten sind: Fast alles klingt mindestens ebenso vertraut wie gut, daran ändern selbst weibliche Gast-Vocals wenig. Erst ab dem elften Song kommt das Konzept voran, aber bloß einen kleinen Schritt. 2,0

Avantgarde & Folk, Spuren von Swing, Rock und Funk – auch stilistisch vermischt sich Unterschiedlichstes, wenn folgende Individualisten aufeinander stoßen: MICHEL PORTAL (Baßklarinette, Bandoneon, Altsax), Joey Baron (d), Bruno Chevillon (b), Steve Swallow (eb), Markus Stockhausen (tp) und Bojan Z. (keys). Baskenland und Balkan, Deutsches und Amerikanisches, Freies und Eingängiges: So überzeugend unberechenbar wie auf „Dockings“ (Label Bleu/EFA) geht es bevorzugt in Frankreich zu. 4,0

Daß „Yara“ (enja/Edel Contraire) Filmmusik ist, verrät sich am deutlichsten über Harry Lachners Reflexionen im Booklet Wer bloß hinhört, wird eher staunen über die scheinbare Schlichtheit, zu der RABIH ABOUKH AUL sich diesmal komponierend aufgeschwungen hat. Selten kam sein Oud-Spiel so gut zur Geltung wie hier, häufig unisono mit der Geige von Dominique Pifarely, dem Cello von Vincent Courtois. „Yara“strahlt eine wunderbare Ruhe aus. Und die zieht einem nicht etwa „die Schuhe aus“ (Robert Gernhard, spöttisch zum Thema Meditation reimend), sondern geht eher verführerisch einher mit einer subtil-spannenden Rhythmik und einer verhaltenen Dynamik. 4,0

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