Jazz von Ralph Quinke

Der Mann sieht aus wie ein Oberstudienrat, der seit 20 Jahren auf den vorzeitigen Ruhestand hofft und dabei ist er einer der bedeutendsten Jazzmusiker der Gegenwart: CHARLIE HADEN, Jahrgang ’37, Bassist. Seit fast zwei Jahrzehnten belegt er bei Kritikerpolls die ersten Plätze in der Sparte „Akustischer Baß“.

Mit vielen Paradiesvögeln aus der Welt des Jazz hat Haden seit den späten 50er Jahren gespielt, und etliche davon holte er noch einmal auf die Bühne, im Sommer 1989, beim Jazz-Festival von Montreal. In acht Konzerten trat er mit acht unterschiedlichen Besetzungen auf, allein sechsmal mit wechselnden Trios. Nach und nach erscheinen die Mitschnitte der Konzerte jetzt auf CD.

Schon die erste dieser Veröffentlichungen, “ The Montreal Tapes -With Don Cherry And Ed Blackwell“ (Verve 523260-2) läßt ahnen, daß Charlie Haden in jenem Jahr blendend in Form war: Er swingt und singt mit seinem Bass, er zitiert immer wieder ironisch sich selbst und die Gassenhauer der Jazzgeschichte, er verneigt sich vor dem Free-Jazz-Pionier Ornette Coleman, von dem sechs der acht Kompositionen stammen, er juxt mit seinen Begleitern, dem Trompeter Don Cherry und dem Schlagzeuger Ed Blackwell. Don Cherry bringt etwas kindlich Unbekümmertes ins Spiel, durch ihn wirkt die Musik leicht wie eine Feder, obgleich sie doch hochkomplex ist.

Schwerer und bedeutsamer klingt die zweite CD aus dieser Charlie-Haden-Personality-Serie, „The Montreal Tapes -With Paul Bley And Paul Motian“ (Verve 523259-2). Das ist klassischer kammermusikalischer Trio-Jazz. Brillant interpretieren Haden, der Pianist Paul Bley und der Schlagzeuger Paul Motian hier unter anderem auch wieder vier Ornette-Coleman-Stücke und Carla Bleys wunderbare Komposition „Ida Lupino“. „I’m in heaven, every night“, begrüßte Haden das Publikum in Montreal. Das läßt sich nachvollziehen.

Er hat hochbezahlte Facharbeiter ins Studio geholt, den Schlagzeuger Jack Dejohnette und den Trompeter Tom Harrell zum Beispiel. Nützt aber nicht viel. Denn mit denen nahm der Bassist STEVE SWALLOW eine CD auf, die sich in ihrer Mischung zwischen Blues und Bebop, zwischen Salsa und Saudade zwar grundsolide anhört, aber leider auch ziemlich dröge: ,RealBook“ (XTRAWATT 7). Alles schon mal gehört. Auch was TRILOK OURTU, der indische Trommler aus Henstedt-Ulzburg, auf seiner neuen CD „Believe“(CMP CD 75) macht, hat man vorher schon mal gehört. Im Grunde ist das ein wenig aufgepeppte Programm der Fusion-Gruppen der 70er Jahre. Mag ja sein, daß Trilok Gurtu der „No.l Percussionist“ beim „Down Beat Critics Poll 94“ war, wie ein Sticker auf dem Cover verkündet. Aber wer will denn heute noch Jazz-Rock hören, selbst wenn er mit indischem Tamtam angereichert ist?

„Zurück zu den Siebzigern“ lautet anscheinend auch das Motto von JOB SAMPLE. Kein Wunder. Denn der war damals Mitglied der Jazz Crusade«, und deren Soul-Jazz recycelt er auf seiner CD „Did You Feel That?“ (Warner Bros. 9362-45729-2) für die Neunziger. Hatten die Crusaders-Platten damals eigentlich schon den grünen Punkt?

Noch einer aus den Siebzigern: MICHAIL SHRIEVE. Jahrelang trommelte er bei Santana, später jobbte er unter anderem bei den Stones, Peter Tosh, David Crosby und einigen Nobodies. Michael Shrieve hat auch ein paar eigene Platten gemacht, aber die sind sang- und klanglos in der Versenkung verschwunden. Dieses Schicksal wird möglicherweise auch „Fascination“ (CMP CD 67), die er mit Wayne Horvitz an der Orgel und Bill Frisell aufgenommen hat, nicht erspart bleiben. Denn es fehlt ein roter Faden, ein Spannungsbogen. Schade eigentlich, klingt doch die Kombination von Frisells wabender Gitarre und Horvitz‘ öliger Orgel wirklich gut.

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