Jazz von Ralph Quinke

Bei „Willemsen“ im ZDF gibt es fast jeden Freitagabend den Pausenfuller: Der französische Jazz-Pianist MICHEL PETRUCCIANI . 32, Sohn eines sizilianischen Gifernsten, zwergwüchsig infolge einer Knochenkrankheit. Ganze 30 Sekunden oder auch schon mal eine Minute darf er zwischen den Auftritten der Talkshow-Gäste Klavier spielen. Sicher: Ein Jazzer paßt zum intellektuellen Image eines Willemsen besser als Jingle-Mukker, wie sie bei Gottschalk oder Meyer-Burckhardt auftreten. Allein: Was hat ein Jazz-Musiker in einer halben Minute zu erzählen? Eigentlich gar nichts. Jazz braucht Zeit, braucht Raum, sich zu entfalten. 30 Sekunden reichen nicht mal fürs Vorspiel, geschweige denn für einen Höhepunkt Michel Petrucciani bei „Willemsen“ – das ist ungefähr so, als ließe man Isabelle Adjani die Buchstaben beim „Glücksrad“ umdrehen.

Daß der kleine Mann zu weit mehr taugt als zum Pausenclown, wissen Jazz-Fans schon seit Jahren, und wer es noch nicht wußte, kann es jetzt an zwei neuen Petrucciani-CDs nachvollziehen. Auf „Marvellous“ (Dreyfus Jazz FDM 36564-2) hat der Pianist sich mit einer über jeden Zweifel erhabenen Rhythmusgruppe (Dave Holland, Baß und Tony Williams, Schlagzeug) sowie einem klassischen Streichquartett zusammengetan. Die Liaison von Jazzern und Streichern ist schon oft in die Hose gegangen. Bei Petrucciani passiert das nicht. Ihm gelingt die Gratwanderung zwischen schrägen, harmonischen und leicht kitschigen Tönen, zwischen Konzertsaal, Vaudeville und Wiener Kaffeehaus.

Michel Petrucciani hat von den Klassikern des Jazz gelernt, von Bud Powell, Thelonius Monk, Bill Evans. Doch er kopiert keines seiner Vorbilder. Petrucciani klingt immer wie Petrucciani. Swingend, reif, gelassen. Eine Klasse für sich: Trommler Tony Williams. Der hört sich streckenweise an wie der Sylvester Stallone des Jazz-Schlagzeugs. Sein Trommelfeuer sorgt dafür, daß die Streicher nie im süßlichen Sumpf versinken. 3,5

Ein Vier-Sterne-Werk könnte Petruccianis „Live“ (Blue Note 0777 7 80589 2 2) sein, das er 1991 mit einem Quintett aufgenommen hat wäre da nicht der unerträgliche Ex-Miles-Davis-Keyboarder Adam Holzman, der, wann immer er in die Tasten greift, den groovenden Sound der Band auf eine Ebene hinunterzieht, die an die schlimmen Niederungen des Jazz-Rock der 80er Jahre erinnert. Das klingt gelegentlich wie ,Jugend forscht am Synthesizer“. Doch glücklicherweise gibt es ein paar schöne Petrucciani-Soli, und Holzman läßt ab und zu auch mal die Finger von seinem Elektro-Klavier.

3,0 Generationen von Pianisten bezeichnen den ebenso kauzigen wie kantigen THELONIUS MONK als ihr großes Vorbild. Generationen von Jazz-Musikern haben seine Kompositionen neu interpretiert, doch nur wenige Monk-Remakes reichen heran an das Original. Das Original kann man jetzt in extenso wieder hören: Gerade ist eine 4-CD-Box mit den „Complete Blue Note Recordings“ (Blue Note CDP 7243 8 303632 5) Monks erschienen, Aufnahmen zwischen 1947 und 1958, aus der frühen Phase des Pianisten, als er den Jazz und das Klavierspielen revolutionierte. Thelonius Monk (1917-82) war der Meister der Dissonanzen, der Meister der verqueren Phrasierungen, der Meister des Auslassens. Und er war ein großer Komponist: Stücke wie „Epistrophy“, „Misterioso“ und „Round Midnight“ wurden zu Hits der Jazz-Geschichte. Sie sind auf diesen vier CDs gleich in mehreren Versionen dokumentiert.4,0

By the way: Die gelungensten Cover-Versionen von Thelonius-Monk-Stücken erschienen vor zehn Jahren unter dem Titel „That’s The Way I Feel Now“ (A&M AMLM 66600). Unter der Regie von HAL WILLNER haben damals Musiker wie John Zorn, Joe Jackson und Carla Bley die Kompositionen des Querkopfe auseinandergenommen und genial wieder zusammengesetzt.5,0

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