Jazz von Seckendorff
Wenn er das Stride-Piano spielt, wird sogar der „St. Louis Blues“ zum schrägen Abenteuer. Auch sonst ist HENRY BUTLER bei aller Liebe zum Blues kein Ewiggestriger, sondern mit McCoy Tyner ebenso per Du wie mit den großen Boogie-Pianisten. Weshalb auf „For All Seasons“ (Atlantic) auch Dave Holland die Baß-Saiten zupft. Und sogar „How Insensitive“ einen Touch von New Orleans verpaßt bekommt. Ein eigenbrötlerisches Beispiel dafür, wie zeitgemäß auch traditioneller Jazz sein kann. 3,5
Den läßt JACK DeJOHNETTE weit hinter sich für „Dancing With Nature Sprits“ (ECM). Und doch knüpft er wie auch sein Pianist Michael Caine an Musik aus den frühen Siebzigern an. Damals nahm Keith Jarrett mit Dejohnette „Ruta And Daitya“ auf, spirituelle Improvisationen, von ethnischer und Rockmusik beeinflußt Griff damals Jarrett zur Blockflöte, so spielt hier Saxophonist Steve Gorn die asiatische bansuri flute. Auch wenn er zur Klarinette wechselt und Dejohnette zur electronik hand drum, setzen sie auf die heilende Kraft von Rhythmen und Klängen: intensive Rituale mit glaubwürdigem Pathos und bewundernswert langem Atem. 3,5
Diskreter gibt sich ein auf ganz andere Weise ECM-typisches Trio. Zwar ist auch PETER ERSKINE offen für volksmusikalische Einflüsse und John Taylors Klavierspiel ohne Jarrett kaum denkbar. Aber auf „As It Is“(ECM) dominiert die Subtilität der Bill-Evans-Tradition. Sometimes very british indeed, auch wenn der mit Weather Report bekanntgewordene Schlagzeuger aus New Jersey stammt Dafür wurde John Taylor in Manchester geboren. Und Taylor schrieb auch die meisten Kompositionen, wobei er auf faszinierende Weise den Baß von Palle Danielson einbezog. 4,0
Daß sie das KÜHNsein in langen Jahren nicht verlernt haben, beweisen JOACHIM und ROLF mit ihrem – spät, aber doch – ersten puren Duo-Opus „Brothers“ (veraBra). Statt wie gewohnt aus dem Vollen zu schöpfen, stützt der Tastenvirtuose Rolfs innige Klarinetten-Exkurse über „Lover Man“, überläßt ihm das semiklassische Intro für „Express“. Überhaupt spielt die moderne E-Musik wie auch der Freejazz eine bestens integrierte Rolle. Nur mit der Auftragskomposition „Opal“ überheben sich die kühnen brothers an Third-Stream-Ambitionen. 3,5
Im bewährten Trio mit Daniel Humair und Jean-Francois Jenny-Clark zeigt JOACHIM KÜHN außerdem, daß nicht nur Mackie Messer Jazz- (hier gar Freejazz-) tauglich ist, sondern auch die Seeräuber-Jenny – so man sie respektvoll behandelt Und das nicht nur, Weill nun einmal „Musik aus ,Die Dreigroschenoper'“ (Verve) prächtiges Ausgangsmaterial bietet, sondern auch dank der großen Geschmackssicherheit, mit der hier nicht einfach platt in Swing umgewandelt wird. 4,0
Zwischen den Zeilen muß gesagt werden, daß der Gitarrist MIKE STERN für „Between The Lines“ (Atlantic) zwar hochkarätige Musiker gewinnen konnte, aber Dave Weckl, Bob Malach oder Jim Beard liefern nur einen Routine-Job auf der Basis von banalen Klischees ab: eine Fusion, die trotz des einen oder anderen gelungenen Soli nicht über ein Mindestmaß an Power und Tanzbarkeit hinauskommt 2,0
Gast-Drummer Dennis Chambers fand ein spannenderes Umfeld beim „Rythm N´Jazz“(Lipstick) des Franko-Kanadiers ALAIN CARON. Der Bassist strickt zwar auch nur am Jazz-Rock seiner ehemaligen Band UZEB weiter. Aber die Grooves haben mehr Biß und die Kompositionen mehr Profil. 3,5
Schändlich, daß der wunderbare Organist EDDY LOUISS hierzulande heute noch übersehen würde, hätte er nicht am Aufstieg des sehr kleinwüchsigen Willemsen-Klavierklimperers Michel Petrucciani teilgehabt. Dabei entwickelte Louiss schon Ende der 60er Jahre Sinn für afrikanische Melodien wie „Flomela“(Dreyfus), sang und swingte, daß einem warm ums Herz werden konnte – es sei denn, man hatte als Purist Einwände gegen Schnulzen („Pacha“) oder mehrstimmigen Background-Gesang. 3,5