Jimi Hendrix :: The Jimi Hendrix Experience
Die Ausgrabung - in CD- wie auch in repräsentativer LP-Box erhältlich. Vitale Aufnahmen von Jimi Hendrix aus dem Archiv bieten faszinierende neue Einblicke
Einer der faszinierendsten Momente auf diesem gelegentlich doch die Geduld des Zuhörers etwas strapazierenden Set ist eine sieben Minuten lange Instrumentalfassung von „Bold As Love“. Ein ziemlich frustrierter, jetzt aber völlig konzentrierter Jimi Hendrix probiert, wie er dem Song endlich eine überzeugende und die definitive Form geben könnte. Es ist immerhin sein 21. Versuch- ein „onetake“-Mann wie Frank Sinatra war er nie, das belegen hier auch viele andere Demos -, und am Ende ist auch das noch nicht das ihn zufriedenstellende Arrangement. Aber trotzdem eines, das diese Aufnahme, obwohl nur ein work in progress, zu einer der aufschlussreichsten und besten in dieser Box macht. Man hört Hendrix bei der Arbeit zu und kann – in Kenntnis der dann letztlich auf dem zweiten Album veröffentlichten Master-Version – nachempfinden, was ihm bei dem Live-im-Studio-Take alles spontan an Ideen im Kopf rumging.
Hier wie auch bei anderen Aufnahmen der frühen Experience-Jahre wird deutlich, wie wichtig Chas Chandler als Ideengeber und Produzent für das von ihm in einem New Yorker Club entdeckte Talent war. Man bekommt bei den chronologisch abfolgenden Aufnahmen auch eine Ahnung davon, dass und warum das Zerwürfnis während der „Electric Ladyland“-Sessions programmiert war. Ab einem gewissen Punkt wollte sich der zunehmend experimentierfreudigere Gitarrist nicht mehr vorschreiben lassen, wo es langzugehen habe, egal wie richtig sein Mentor mit vielen Einfällen und Änderungswünschen während der ersten Jahre gelegen hatte. Die Symbiose zwischen den beiden funktionierte so lange bestens, wie Hendrix sich in seiner Kreativität nicht gefesselt fühlte.
Am Ende hätte er dagegen, wie manche späten Studio-Sessions beweisen, eigentlich wieder einen Produzenten gebraucht, der offen und kritisch mit ihm seine neuen Ideen diskutiert hätte. Aber nach dem Band Of Gypsys-Intermezzo war Hendrix anscheinend fast so etwas wie ein Gefangener der Studios (und auch der neuesten technischen Errungenschaften in denselben) geworden, in denen er sich – immer schon ein workaholic, aber jetzt mehr denn je und an Live-Auftritten kaum noch interessiert – verkroch, um an einem Projekt zu arbeiten, mit dem er eine neue künstlerische Phase in seiner Karriere beginnen wollte. Aber das sollte er bekanntlich nie vollenden.
Nicht alles auf dieser monumentalen Werkstatt-Schau klingt so faszinierend wie das eingangs genannte „Bold As Love“-Take. Wenig Neues oder Erhellendes tragen zum Bild des Musikers Demos wie die von „Hey Joe“ oder „Burning Of The Midnight Lamp“
bei, und manche Instrumentals (etwa die von „Title No. 3“ oder „Here He Comes (Lover Man)“) sind allenfalls als Vorstudien von einigem Interesse. Der hektische Stress der frühen Tourneen blieb, wie hier ebenfalls unbeschönigt zu hören ist, nicht folgenlos. Stimmlich war Hendrix da manchmal alles andere als in bester Verfassung. Und am Ende dokumentieren manche der späten Marathon-Jam-Sessions mit Billy Cox und Mitch Mitchell die nicht unproblematische Übergangsphase, in der sich Jimi Hendrix damals als Komponist befand. An Höhepunkten mangelt es natürlich trotzdem nicht. Der Stereo-Remix von „Gighway Chile“ gehört genauso dazu wie der unveröffentlichte Mitschnitt des „Catfish Blues“ sowie der Alternativ-Mix von „Gloria“, eine frühe Studio-Probe von „Hear My Train A Comin“, der vormals unveröffentlichte „It’s Too Bad“-Blues und nicht zuletzt verschiedene Konzertaufnahmen wie die von „Little Wing“ aus der Royal Albert Hall oder die phänomenale, in San Diego mitgeschnittene Interpretation von „Red House“. Teilweise schon einmal vor Jahrzehnten auf LPs wie „Loose Ends“, „Hendrix In The West“ und diversen Live-LPs veröffentlicht, erinnern gerade diese grandiosen Aufnahmen einmal mehr daran, dass ein definitives Live-Box-Set seiner besten Konzertaufhahmen nach wie vor aussteht.