Jiro Taniguchi – Die Sicht der Dinge
Die Sicht der Dinge (Carlsen, 14 Euro) von Jiro Taniguchi erzählt wie schon der mittlerweile auch in Deutschland preisgekrönte Manga „Vertraute Fremde“, mit dem Carlsen im letzten Jahr seine kleine Taniguchi-Reihe begonnen hat, von verdrängten Erinnerungen. Yoichis Vater ist gestorben, also fährt er zur Totenwache. In den Geschichten der Verwandten entsteht ein völlig neues Bild: eines gütigen, sanftmütigen, aber auch stolzen und einem rigiden Ehrenkodex anhängenden Workaholic. Die polyperspektivische, serielle Erzählweise ist in zweifacher Weise adäquat. Zum einen erschafft Taniguchi so eine facettenreiche, ambivalente, absolut lebensechte Vaterfigur, zum anderen gelingt es ihm, den emotionalen Läuterungsprozess seines Helden glaubhaft darzustellen. Yoichi kommt mit diffusen vorwürfen, am Ende der Totenwache kann er um seinen Vater weinen. Taniguchi erklärt die jeweilige Seelenlage seiner Figuren immer ein bisschen mehr, und die Texte lesen sich für den europäischen Leser seltsam formell. Aber näher als in diesen Comics kann man dem japanischen Alltag kaum kommen. Eine fremde Welt. Und man ist beinahe erstaunt, dass Taniguchis Geschichte einem trotzdem zu Herzen geht…