Johnny Dowd – Wrong Side Of Memphis

Kunst? Eine Vermittlung des .Seins hinter der Oberfläche der Dinge und Worte? Die Erschaffung einer Realität, die über die Wirklichkeit und sich selbst hinausweist? Eine Anleitung zur Selbsterkenntnis, der man nicht ausweichen kann? Die unleugbare Wahrheit? Früher gab es für die Musik von Johnny Dowd viele Worte: „authentisch“, „roh“, „ergreifend“, „wahrhaftig“. Heute sind sie alle Wotthülsen, Vermarktungshilfen. Also Kunst Aber nicht aus dem Museum. Sondern im Sinne alter schwarzer Farmarbeiter, die abends Blues spielen und einmal, für 20 Dollar, eine Single aufnehmen, vor 60 Jahren. Kunst im Sinne von: authentisch, roh, ergreifend, wahrhaftig.

Tagsüber arbeitet Johnny Dowd als Möbelpacker in New York. Doch nach Feierabend schreibt und singt er ungehörte Lieder. Von Mord, Totschlag, Wahnsinn: Nebenan geschah ein Mord,

an der Wand Blutspuren. Papa wollte nicht mich, sondern eine Tochter, „Papa, I kill you with this song.“ „I don’t exist“ – wenn ich sterbe, kommen die Ufos. Irgendwer hat mein Kreuz und meine Dornenkrone gestohlen. Ein Psychopath? Ein Genie? Macht es einen Unterschied? Johnny Dowd singt Blues, wie es ihn schon lange nicht mehr gibt: Seine Stimme treibt die Worte nackt und ungeschützt zusammen, knarrend zerrt er sie durch Melodien, die sich wie Städte, ach was, Welten aus vergessenen Sümpfen erheben, zu einer brüchigen Akustikgitarre oder auch trocken scheppernder Elektronik: der Synthesizer klingt wie vom Möbelwagen überrollt Doch dann ertönt eine süße Melodie, gesungen von zarten Frauen. Hoffnung? Ach was: Führt mich in den Hof, laßt mich da hängen. Am Galgen natürlich.

So wie der von Mord und Disharmonien wimmelnde alte Blues die Wahrheit über die Kehrseite des fetten amerikanischen Lebens zu einer düsteren Erkenntnis verdichtete, spricht dieses atemberaubende LoFi-Debüt vom Ende des amerikanischen Traums, dem seelischen Hunger nach Sinn und dem daraus folgenden Wahn, hinter dessen neuen Ikonen der Serienmörder und Fundamentalisten uralte Mythen und noch ältere Ängste warten. Pere Ubu trifft Arthur Crudup. Die vorletzten Worte für eine sterbende Welt: „Take me to heaven, Fve been to helL“ Die letzten: „Be content with your life, it may not get any bettet“ Nichts als die Wahrheit. 4,5

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