Juicy Lucy – Who Do You Love – The Anthology
Erinnert sich irgendwer noch an Tramline? Das war Ende der 60er Jahre eine dieser erstklassigen britischen Blues-Bands, die eher die ländliche als die Großstadtvariante der Gattung schätzten, in Mick Moody ein Ass an der Gitarre hatten und Christopher Blackwell so beeindruckten, dass der sie nicht nur für Island unter Vertrag nahm, sondern auch ihre Debüt-LP produzierte. Leider hatten sie auch mit ihrem zweiten, von Guy Stevens betreuten Album wenig kommerzielle Fortune, egal wie inbrünstig Sänger John McCoy seine Harmonika blies und ob die rhythm section weit besser harmonierte als die von Free. Alles viel zu gut, viel zu wenig spektakulär.
Moody wurde nicht arbeitslos nach der Beerdigung von Tramline. Bei der zweiten LP von Juicy Lucy tauchte er als Lead-Gitarrist auf, dort den ehrenwerten Neil Hubbard ersetzend. Trotz der Umbesetzung blieb der Kalifornier Glenn „Fernando“ Campbell der Spiritus rector des Unternehmens. Der hatte sich, Jahre zuvor Chef der britischen (!) Band Misunderstood, wieder nach Hause begeben, um eine Weile die Rolle des Lead-Gitarristen in der Dirty Blues Band von Rod Piazza zu übernehmen. Dieser Harmonika-Mann war ein Charlie Musselwhite vergleichbarer Virtuose, einer jener Puristen, mit dem zu musizieren Campbell eingestandenermaßen viel Freude machte. Aber die Konzertauftritte ernährten den Mann mehr schlecht als recht, und darum musste er nebenberuflich reichlich Teller waschen. Als absehbar war, dass er es daheim auf absehbare Zeit nicht zum Millionär bringen würde, emigrierte er einmal mehr ins nasskalte England, um es dort mit Hubbard, Saxofon-Mann Chris Mercer und zwei Kollegen noch einmal unter einem schön griffigen Band-Namen zu versuchen.
Das Debüt von Juicy Lucy war ein genialer stunt – nicht nur wegen des berühmt-berüchtigten „sexistischen“ Covers. Die Version, die das Quintett von Bo Diddleys „Who Do You Love“ einspielte, hatte wenig mit dem Original oder der Fassung von Ronnie Hawkins & The Hawks und schon gar nichts mit der Marathon-Version von Quicksilver Messenger Service zu tun. Das war eine Rock’n’Roll-Tour de force, bei der Campbell alle Register seines Könnens an der Lap Steel zog. Aber dass er sich auch darauf verstand, bewies er auf der Debüt-LP bei Aufnahmen wie „Are You Satisfied“, „She’s Mine, She’s Yours“ und dem ganz aus dem Rahmen fallenden, weil countryrockigen „Chicago North Western“.
Auf dem zweiten Album erwies der neue Sänger Paul Williams sich als höchst talentierter Songlieferant, und die beiden Cover-Versionen hier (Howlin‘ Wolfs „Built For Comfort“ und Frank Zappas „Willie The Pimp“) waren so große Klasse wie das von Chuck Berrys „Nadine“ auf dem Erstling.
Trotz permanent wechselnder Besetzung enthielt auch „Get A Wiff At This“ ein paar herausragende Aufnahmen. Aber als Campbell endgültig den Bettel hinwarf, war Juicy Lucy in jeder Beziehung eine quantite negligeable geworden.
Vor sieben Jahren hatte Oldies-Spezialist BGO die ersten beiden LPs schon einmal als „twofer“ veröffentlicht. Diese Auswahl aus den drei LPs mit Glenn Campbell ist auch insofern weit empfehlenswerter, als die Aufnahmen (generöse 19, nichts vom vierten Album) in den Neuüberspielungen ungleich besser klingen.