Julian Schnabel :: Lou Reed’s Berlin
„It was very nice/ Oh honey, it was paradise“: Der Song-Zyklus „Berlin“ blieb 1973 und fürderhin unverstanden, denn es geht ja gar nicht um Berlin, sondern um „die zornigen Schwestern der Liebe“, wie es hier im Vorspann so schön heißt – Eifersucht, Begehren und so. Lou Reed selbst ist natürlich der größte Fan dieser Arbeit – der zweitgrößte, Julian Schnabel, hat den Konzertfilm „Berlin“ gedreht. An sechs Tagen im Jahr 2006 führte Reed das Album im Warehouse Theatre in Brooklyn auf, mit allem Aplomb einer avantgardistischen Musical-Inszenierung. Schnabel, bildender Großkünstler und immer mal wieder Filmregisseur, besorgte das Bühnenbild und spricht einleitende Worte: Sein eigenes Leben will er 1973 erkannt haben. „Anything left out, Lou?“ fragt er, und von irgendwo tönt es: „No!“
Auf dem hinteren Prospekt läuft ein verhuschtes Filmchen, immerhin mit Emmanuelle Seigner als Caroline, manchmal sind es auch bloß verschwommene Bild-Collagen. Davor agiert ein wild zappelnder Dirigent in einem Kittel, im Rücken der Musiker – er dirigiert also niemanden. James Hunter an der Gitarre leitet die Band mit Fernando Saunders am elektrischen und Rob Wassermann am akustischen Bass – ein wahres Fest für Liebhaber dieser Instrumente! Unter den Streichern ist Jane Scarpantoni, im Background singt das Fabelwesen Antony, und ein in grünen Kitteln geschürzter Mädchenchor trällert unschuldig. Onkel Lou hat hinten im Schrank noch ein altes T-Shirt gefunden, in das er den hageren Körper zwängen konnte. Wie ein vermuffter Hausmeister linst er durch seine Brille und freut sich, wenn er sich mit Hunter ein Gitarren-Duell liefert.
Das funktioniert wunderbar bei „Lady Day“ und „Men Of Good Fortune“, Rock ohne Roll, ein himmlischer, uhrwerksartiger Krach, und auch bei „Caroline Says“ hält sich die Spannung. Aber dann merkt man doch, dass „Berlin“ zerfasert, dass Bläser und Streicher und Kinderchor nur jubilieren, weil Lou nichts zu erzählen hat außer ein paar bitteren Aphorismen. Und das leere Spektakel kulminiert im Pomp von „Sad Song“, der immer wieder behauptet, dass er ein „sad song“ ist. Antony singt noch einmal allein, und am Ende stimmt Lou Reed kein anderes Stück an als „Sweet Jane“. Nun war es doch nicht paradise, aber dann und wann nice.