Kritik: Pixies live in Berlin – Gebrüllte Wiegenlieder






Pixies Live in Berlin



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15 Minuten am Stück hat Charles Michael Kittridge Thompson IV alias Black Francis, um ins Publikum zu sehen und zu bemerken, wie viel schlechter die neuen Songs im Vergleich zu den alten angenommen werden. Mit seiner Band Pixies spielt er einen ganzen Block neuen Materials, fünf Lieder nacheinander, und das auch noch fast zum Ende des Konzerts, wenn, so kennen und so wollen wir die Setlist-Dramaturgie, normalerweise Hits anstehen.

Stattdessen kommen: „Daniel Boone“, „Silver Bullet“, „Catfish Kate“, „Death Horizon“ und „In The Arms of Mrs. Mark of Cain“.  Wer im Pixies-Moshpit steht, und das gibt es bei dieser Band, 33 Jahre nach Gründung, tatsächlich noch, schubst zwar noch ein wenig mit. Alle anderen freuen sich erst wieder, als mit Song 37, „Hey“, endlich wieder ein Klassiker präsentiert wird.

Black Francis macht keinen Hehl daraus, dass er die 2004 nach mehr als zehn Jahren Trennung wiedervereinte Band mittlerweile als Vehikel für seine Solo-Interessen als Bluesrock-Künstler versteht – eine Richtung, die am Ende der „Frank Black“-Jahre kein Fan mehr mitgehen wollte. Der Starrsinn spiegelt sich in den Liedern des neuen Albums „Beneath The Eyrie“ wider: viel Schunkel-Country, Weizenfeld-Musik, Männer, die auf der Veranda sinnieren. „Daniel Boone“ ist ja nach dem gleichnamigen amerikanischen Pionier und Jäger aus dem 18. Jahrhundert benannt. In der Bewerbung der Platte jedoch sprachen die Musiker fantasievoll von „Gothic“, das sie beeinflusst habe. Gute strategische Entscheidung, klingt geheimnisvoller und mehr nach alten Pixies.

39 Songs, aber eben auch die ganze neue Platte

Pixies

Black Francis bekommt ja mit, welche Songs die Leute eigentlich hören wollen. Es ist kein Zufall, dass die Pixies bei ihrer aktuellen Tour fast jeden Abend stolze 39 Stücke spielen. Die längsten Gigs ihrer Karriere. Das ergibt sich so: Bringen sie jedes der elf neuen, bleiben theoretisch immer noch 28 aus dem Back-Katalog aus der ersten Ära, der guten Ära, also die Hymnen von „Come on Pilgrim“ bis „Trompe Le Monde“. Ihre Konzerte müssen immer länger werden, weil sich alte und neue Lieder sonst gegenseitig die Plätze wegnehmen. Der Historisierung des alten Materials ist Black Francis sich bewusst: Er streckt und verfremdet „Gouge Away“ und „Nimrod’s Son“, weil sie arg kurz sind, aber die Leute sie lieben.

Als Live-Band befinden sich die vier Musiker tatsächlich in bestechender Form. Francis beherrscht seine Blues-Tiefen („U-Mass“), die Schweinequieken-Höhen („Something Against You“) und die sehnende Ruhe seiner schönsten Lieder, „Ana“ und „Havalina“, noch immer. Er sieht auch gut aus. Er traut sich mittlerweile einen mit Pomade zurückgestriegelten Haarkranz zu, die Eitelkeits-Glatze ist passé, was ihn nun wieder ein wenig wie den psychopathischen Jüngling mit Haarausfall wirken lässt, so, wie er zuletzt 1992 aussah.

David Lovering hat mit seinem Schlagzeug das an diesem Abend lauteste Instrument und macht alles richtig. Joey Santiago, der immer mehr wie ein Schustermeister aus einem New-Heritage-Modekatalog aussieht, spielt seine gedehnten Töne so gut wie vor, während und nach seiner Reha 2016. Er ist eine der effizientesten Gitarristen überhaupt, und was er intoniert, kann so schmerzhaft klingen, dass dem Überfan PJ Harvey unbedingt Recht zu geben ist: So, wie er spielt, muss es wehtun, wenn Sehnen und Knochen gedehnt werden.

Nur nicht anecken

Seit 2015 ist Paz Lenchantin als Bassistin dabei. Sie hat es natürlich nicht so leicht wie die anderen. Gründungsmitglied Kim Deal war eine Charismatikerin, die jeden ihrer etlichen Spielfehler weglachen durfte. Deren Nachfolgerin Kim Shattuck wiederum, schon nach einem halben Jahr wegen ihrer Lebhaftigkeit gefeuert (sie verstarb in dieser Woche), bildete ein interessant anzusehendes Missverhältnis zu diesen drei kauzigen, gedrungenen Männern mittleren Alters: eine hochgewachsene Frau und echte Punk-Musikerin, intensiv, dennoch präzise. Lenchantin nun, als vollwertiges Pixies-Mitglied aufgenommen, steckt sich eine rote Rose in den Hals ihres Instruments und lächelt, sie ist 46, wie ein schüchternes Mädchen. Black Francis gilt als schwierig und dominant, es könnte Lenchantins Art sein nicht anzuecken zu wollen.

Am Ende stehen die vier Pixies nebeneinander und verneigen sich vor dem Publikum. Weil ihre Songs so kurz sind, verlassen sie gar nicht erst für die Zugabe die Bühne – die Zeit backstage wäre dann ja länger als die verbleibende im Set. Schnell und erbarmungslos kommt „Debaser“, jener Song, in dem Black Francis brüllt und Santiago eine Wiegenlied-Melodie darüberlegt. Ein Ausdruck kongenialer Komposition.

Black Francis hat auf solche Meilensteine vielleicht wenig Lust. Alle anderen dafür umso mehr. Wer gibt am Ende nach?

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Jana Legler Redferns

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