Liberace :: Michael Douglas, Matt Damon

Regie: Steven Soderbergh

Start: 3.10.

Für dramatische schwule Rollen gilt dasselbe, was Kate Winslet in der britischen Comedy-Serie „The Extras“ mal über die Hauptrollen in Filmen über den Holocaust sagte: Sie sind reines Oscar-Material. Michael Douglas‘ letzte denkwürdige Rolle liegt schon eine Weile zurück („The Wonder Boys“ von 2000 muss das gewesen sein), einen Oscar wird er aber auch für seine Darstellung der amerikanischen Las Vegas/Camp-Ikone Liberace in Steven Soderberghs gleichnamigem Biopic nicht bekommen. Obwohl er ihn vedient hätte.

Produziert hat der amerikanische Bezahlsender HBO, in den USA lief der Film im Fernsehen. Nur in Europa kommt „Liberace“ (im Original „Behind the Candelabra“) doch noch in die Kinos -wohl auch als Anerkennung des Europhilen Soderbergh, der erst Anfang des Jahres angekündigt hatte, sich aus dem Filmgeschäft zurückzuziehen. „Liberace“ bedeutet also in doppelter Hinsicht eine Zäsur: als Soderberghs für längere Zeit letzte Filmproduktion, aber auch als durchaus überraschende Wendung in der auf relative Homogenität bedachten Karriereplanung von Michael Douglas -immer noch Inbegriff der strotzenden Virilität der Reagan-Jahre.

In anderen Händen hätte „Liberace“ leicht zur Farce geraten können. Soderbergh interessiert sich aber nur vordergründig für die flamboyanten Glamourfantasien, in welche die Chimäre Liberace abgetaucht war. Sein Haus in Las Vegas erinnert an ein hyperschwules Neuschwanstein. Faszinierend ist vor allem das Arrangement von Liberaces Leben, das wie eine Kreuzung aus Graceland und Neverland-Ranch schimmert: eine abgeschirmte Parallelwelt, in der er seine homosexuellen Vorlieben mit blutjungen Loverboys hemmungslos ausleben konnte, ohne dass sie in Konflikt mit seiner öffentlichen Persona gerieten. Liberace war ein wandelndes Paradoxon. Er lebte der Öffentlichkeit eine blütenweiße Scheinexistenz vor, die noch den Puritanismus der 50er-Jahre bediente, während seine Auftritte eindeutige Codes aussandten, die 1977, das Jahr, in dem Soderberghs Film beginnt (zu Sylvesters „Mighty Real“), für Insider leicht dechiffrierbar waren. „Ich wusste gar nicht“, meint Matt Damon als Liberaces späterer Liebhaber Scott Thorson beim Anblick der älteren Damen und Herren, „dass dieses Publikum etwas so Schwules gut finden würde.““Sie wissen nicht, dass er schwul ist“, erklärt ihm sein Begleiter das Geheimnis Liberaces.

Soderbergh erzählt diesen Widerspruch nicht als persönliches Drama, sondern als Machtspiel, in dem Liberace als geschickter Manipulator seiner Mitmenschen und der öffentlichen Meinung agiert. Douglas spielt diese Figur, die auf den Memoiren von Scott Thorson beruht, als zerrissenen Charakter: einerseits getrieben von seiner Lust auf junge Männer, die ihn vor und nach seinen Auftritten umschwärmten, andererseits als zutiefst paranoiden Menschen, der hinter jeder Zuwendung Verrat und Habgier witterte. (Ironischerweise verklagte auch Thorson Liberace später auf über 100 Millionen Dollar.) Wenn Liberace -mit Hermelinmantel und goldenem Rolls-Royce -und Scott gemeinsam einen billigen Sexclub aufsuchen, kommt darin ein Überlegenheitsgestus zum Ausdruck (die Unantastbarkeit des Superstars). Gleichzeitig nimmt die Szene bereits einen dramatischen Bruch vorweg, der sich spätestens mit dem Dekadenwechsel in Form einer gesellschaftlichen Hysterie manifestierte. Soderbergh streift im Film nur einmal kurz eine Schlagzeile über den Tod Rock Hudsons. Liberaces Management versuchte später alles, um dessen AIDS-Tod zu vertuschen und damit das Andenken des „Ein-Mann-Disneylands“, wie Liberace sich einmal nannte, zu wahren.

„Liberace“ ist also durchaus ein Sittenbild, die Studie eines im Grunde melancholischen Lebens, das permanent auf den Exzess zusteuerte. Scott stellt in diesem Zusammenhang, obwohl der Film seine Version der Geschichte schildert, nicht mehr als einen Kollateralschaden dar -mit einem geilen kleinen Knackarsch allerdings. Liberace verwandelt den Jungen mit Hilfe plastischer Chirurgie in eine jüngere Version seiner selbst. Die Selbstverständlichkeit, mit der dies geschieht und mit der Liberaces Arzt (ein grandios blasierter Rob Lowe, der dank seiner vorbildlich straffen Gesichtshaut die Zweifel seiner Patienten nur mit einer geschürzten Oberlippe kommentiert) ihn darauf hinweist, dass er nach dem nächsten Eingriff seine Augenlider nicht mehr schließen kann, ist halb ironisch, halb zynisch zu verstehen.

Nachdem seine letzten Kinofilme eher guerillamäßig heruntergedreht waren, wie die Fingerübungen eines Wunderkindes, beweist Soderbergh ausgerechnet mit einem Fernsehfilm, dass er die große Kinoerzählung noch immer beherrscht.

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