Lou Reed – The Raven :: WEA
In Edgar Allen Poes hier und da genial gefundenem Gedicht „The Raven“ fliegt ein rabenschwarzer Rabe in das Studierzimmer eines ob des Todes seiner Gemahlin tief betrübten Gelehrten und nimmt auf einer Büste Platz. Der Überraschte begreift den Moment und befragt den komischen Vogel bald zu diesem und jenem und das Leben und den Tod, bekommt jedoch bloß ein beunruhigendes, Unheil meinendes „nevermore“ zur Antwort.
Als Überschrift über Reeds ambitionierte Ehrbezeugung vor dem seit 150 Jahren toten Dichter ist das ein schöner Verweis – während die meisten von uns Poe für einen begabten Gruselliteraten halten, wähnt Reed hier den ultimativen „Vorfahren von Selby und Burroughs und anderen Schreibern, die das Sein und seinen schrecklichen Stachel bedachten und sich fragten, warum wir alle am Ende doch nur (SeIbst-)Zerstörung und Tod im Sinn hätten. Das Projekt nahm zuerst Gestalt an im Jahr 2000 im Hamburger Thalia-Theater. Das Bühnenstück „POEtry“ verlas Texte von Poe und machte das Leben des Dichters transparent, und dazu hatte Reed viel Musik verfasst. Nun also die auditive Fassung des Spektakels: Sowohl limitiert im Doppel (18 Songs, 18 Spoken Word Tracks), als auch regulär auf einer CD (18 Songs, drei Spoken Word Tracks), ist „The Raven“ vor allem eine labour of lore, eine tiefe Verbeugung vor Poes düsterem, oft hanebüchenem Romantizismus.
An Songs wie dem stakkatohaft fiebernden „Edgar Allan Poe“ oder dem simplen „A Thousand Departed Friends“ hört man das besondere Engagement Reeds; die arg verzerrten Gitarren, die pöbeligen Bläser, all das ist freilich Altherren-Rock, aber einer, dessen Inspiration noch immer frisch ist und der die Bedeutung für die Nachgeborenen lautstark beansprucht. In ruhigeren Momenten, und wenn Jane Scarpintoni mit tollen Geigen dabei ist, spürt man – ähnlich wie bei zuletzt bei Waits die Bühne und ihre Gesetze, da hätte man dann gern die Bilder vor Augen.