Lynden David Hall -The Other Side

UK Garage ist, wie die Fachpresse kolportiert, bereits wieder am Abflauen. Das Ding des Sommers, 4/4-Takt, ein Bumms auf jedem zweiten, so aufregend wie Bügeln. Letztes Jahr war’s Larino, im Jahr davor Drum’n‘-Bass, und 2001 wird man wohl den Cha-Cha-Cha wieder ausgraben, durch den Computer jagen und mit neuem Namen in die Discos drücken. Lukrative, saisonale Maschen. Die immer wieder funktionieren, weil jede Generation einen Gleichklang braucht, wenn sie auf die Piste geht. Die normative Kraft des Taktischen. UK Soul hat es ungleich schwerer. Die Normen werden in Amerika festgelegt.

Und nur wer sich in Britannien dran hält, darf auch im Mutterland des R&B mal ran. Selten genug. Mark Morrison, mit einem Coolio-Verschnitt Gabrielle, aber auch erst, seit sie in Pseudo-Gospel macht und des schwarzen US-Bürgers Hang zu Pomp und Kitsch bedient. So gesehen steht der suave, elegante und linde groovende Rhythm & Blues von Lynden David Hall auf verlorenem Posten. Minimale Export-Chancen. Hall kann das verschmerzen, denn in der UK-Soul-Szene genießt er einen glänzenden Ruf. Als Ladykiller und Dancefloor-Filler, primär aber als Songwriter, der souverän mit Gefühlen und Gesinnung umzugehen weiß. Und als Stimme, die unter die Haut geht.

Wie sein US-Counterpart D’Angelo, ja konsequenter noch, verzichtet der Wonderboy aus Wandsworth auf Schwulst und ausgeklügelte Schlafzimmer-Strategien. Bei Hall ist Sex ein Vexierspiel, mehr Versuchung als Erfüllung, und oft genug irritierend. Schon seine 97er Single „Sexy Cinderella“ sorgte in Britannien für Gesprächsstoff, sein Debüt-Album machte nicht zuletzt diesbezüglich Furore, und nun, auf „The Other Side“ (Vinyl: Doppel-LP) spinnt Hall weiter am schillernd seidenen Garn. „Sleeping With Victor“, ein unwiderstehlich swingendes Stück Soft-Soul, lässt den Hörer so atemlos wie ahnungslos zurück. „She was sleeping with Victor and it’s cool/ All my friends they say I’m such a fool“, singt Hall. Eine offene Beziehung? „She told me she was no angel/ And that she liked to be with girls“, fährt er fort. Was hat das mit Victor zu tun? „Let’s make the best of this world/ Little Victor, my girl and me/ Doing things so naturally/ Turn on, plug in, alright/ Hear little Victor roar.“ Victor: ein Vibrator?

„The Other Side“ ist ein Erlebnis für die Sinne und den Intellekt. Feinster Funk und sanfte Grooves aus South-London. Und: Vom Curtis-Mayfield-Cover „Let’s Do It Again“ abgesehen, hat Lynden David Hall alle Songs selbst geschrieben. Und arrangiert. Und produziert Und sämtliche Instrumente gespielt. Was insbesondere in Sachen Saiten-Sounds höchste Anerkennung verdient. Selten hat man ein Album gehört, das mit derart facettenreicher und subtiler Gitarren-Grafik aufwartet. Muddy Waters, Wes Montgomery und Prince nennt Hall als wichtigste Inspiratoren. Was indes nicht heißt, dass sein Sophisticato-Soul nicht auch Raum böte für neuere Stilelemente wie Acid-Jazz oder, ahem, UK Garage. Wenn es denn dem Soul-Searching dient. Und der Motorik. Doch spielt die bei Hall keine entscheidende Rolle. Auch darin unterscheidet sich der coole Operator von anderen arrivierten UK-Acts wie Finley Quaye oder gar Jamiroquai. Halls Grooves taugen nicht als Soundtrack für Gymnastik. Sein Soul ist nicht nur skin deep.

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