Magma – Studio Zünd
Schon als Teenager war Christian Vander etwas sonderbar, aber auch ein leidenschaftlicher Fan von John Coltrane: „Wenn ein neues Album des Saxofonisten erschien, war das für mich die einzige Verbindung zum realen Leben. Als Coltrane 1967 starb, war ich 19 und stand vor dem Nichts. Ich glaubte, ich würde sterben, und das blieb so, drei Jahre lang.“
Nach dieser adoleszenten Trauerphase veröffentlichte Vander mit 22 das Debütalbum seiner bereits ein Jahr vorhergegründeten Band Magma, die weit mehr war als nur ein Musik- und John-Coltrane-Gedächtnis-Projekt. Der Schlagzeuger und Sänger hatte sich dafür einen kompletten Mythos und eine eigene Sprache ausgedacht. Auf Kobaianisch wird die Saga des fiktiven Planeten Kobaia erzählt, der von ausgewanderten Erdbewohnern kolonialisiert wurde. Dem damaligen Zeitgeist entsprechend, geht es um neue Gesellschaftsformen, Umweltzerstörung, alternative Mythologien und krude Philosophien. Die Musik dazu mäanderte anfangs noch zwischen King Crimson, Soft Machine und Gong (allerdings ohne deren Humor). Doch der jazzig kauzige Prog-Rock der ersten beiden Alben war nur der Anfang.
Die französische Band feiert ihr 40-jähriges Bestehen nun mit einer exquisiten 12-CD-Box, in der die wichtigsten Original-Alben enthalten sind, plus einer Doppel-CD mit bislang unveröffentlichtem Material. Dazu jede Menge Hintergrundintormationen und detaillierte Kommentare von Vander selbst. Ein beeindruckendes Werk, das allerdings nicht immer leicht zu hören ist -vor allem die vielstimmigen, oft enervierend hohen kobaianischen Chorgesänge können bisweilen nerven.
Trotzdem ist es faszinierend, wie eigensinnig und mit welchem feierlichen Ernst Magma das goldene Dreieck zwischen Jazz, Rock und Klassik erforscht und besiedelt. Vor allem das dritte Album, „Mel{ani}(Destrutiw Kommandöh“, genießt zu Recht einen enormen Kultstatus. Es ist auch der Favorit von Bandleader Vander, die Berliner Punk-Band M.D.K. hat sich sogar danach benannt. „Mekanik Destrukiw Kommandöh“ ist stark an Carl Orff angelehnt und hat, bei aller rhythmischen Komplexität, eine geradezu archaische Wucht. Die von Teddy Lasry geleiteten Bläser gehörten eigentlich zur Band des französischen Rock-Hallodris Johnny Hallyday, bei Magma klingen sie jedoch, als würden sie zum Jüngsten Gericht blasen. Ein sechs- bis achtstimmiger Chor sorgte dazu für eine hymnische, fast sakrale Atmosphäre.
Zur Kernbesetzung von Magma gehörten damals neben Vander und seiner singenden Frau Stella auch der zweite Schlagzeuger und Sänger Klaus Blasquiz und der Bassist Jannick Top. In dieser (eher kleinen) Besetzung nahmen die vier Musiker auch das folgende Album „Wurddh Itah“auf, das zwar unter Christian Vanders Namen erschien — noch dazu als Soundtrack einer Verfilmung von „Tristan und Isolde“ —, aber trotzdem nach „Mekanik Destrukiw Kommandöh“ den zweiten Teil der Magma-Alben-Trilogie „Theuz Hamtaahk“ bildet. Und wenn Sie, liebe Leser, jetzt so langsam den Faden verlieren in diesem prallen Mikrokosmos, dann ist das nur allzu verständlich.
Längst hat sich eine globale Fangemeinde um Magma gesammelt, die die Geschichte von Kobaia weiterspinnt, Wörterbücher im Internet veröffentlicht und auch ein eigenes Genre hat man sich für die Band ausgedacht: Zeuhl. Dabei lässt sich die Musik natürlich auch problemlos ohne den esoterischen Überbau hören.
Das 1978 veröffentlichte „Attahk“ war dann auch vorerst das letzte Studioalbum, auf dem durchgängig kobaianisch gesungen wurde. Als sich Magma 1984 mit „Mercy“ erst einmal von ihren Fans für mehr als ein Jahrzehnt verabschiedeten, taten sie das auf englisch: „The Night We Died“.
Mitte der Neunziger sammelten Christian Vander und Frau dann wieder Musiker um sich, um zunächst einige Konzerte zu geben. 2004 erschien das Album „K.A.“, das nahtlos an die Magma-Alben der Siebziger anknüpft – sogar kobaianisch wird wieder gesungen.
„Studio Zünd“ erlaubt einen tiefen Einblick in die Arbeit einer Band (man könnte natürlich auch sagen: eines Mannes), die tatsächlich so etwas wie eine große musikalische Vision verfolgt. Das ist oft anstrengend, aber dafür gibt es auch unzählige Momente — viele davon auf dem grandiosen, etwas aus dem Rahmen fallenden Album „Köhntarkßsz“—, die schlicht atemberaubend sind.