Manfred Maurenbrecher No Go
Es ist durchaus bezeichnend für den negativen Idylliker Manfred Maurenbrecher, dass er dem Ende des Maya-Kalenders seine eigene Endzeitvision entgegensetzt, „Welt ist am Durchdrehn“. Die von Omas, Nörglern und Stammtischen bekannte Binse bekommt bei ihm einen Zug ins Romantische: „Und es ist Vollmond heute/ Herzzerreißendes Ende/ Wie ein Gottesdienst da draußen/ Nimm noch mal meine Hände.“
Bis zum Untergang befasst sich der Berliner Dichter mit zeittypischen Erscheinungen in Rollenprosa. Ein bramsiger Anwalt entdeckt in „Das ist Kunst“ nebenbei das Schöpferische: „Ich stell mein iPhone auf Mute/ Such mir die App Okarina/ Blas sanft hinein, es macht tut/ Ich bin im uralten China.“ Beim All-inclusive-Urlaub wundert sich der Tourist: „Hier auf Mykonos ist alles supi/ Die Puppen tanzen im Resort/ Zum Sonntagsbrunch schrammt die Bouzouki/ Die Jungs komm‘ uns gar nicht so faul vor.“ Ein Frauenchor säuselt im Hintergrund „No go, no go“, und der Sänger ruft hysterisch: „Sparen sparen sparen/ tanzen tanzen tanzen“. In „Naumburg“ bleibt ein Zug stehen, weil es auf dem Gleis einen Personenschaden gab, und alle Passagiere holen die Handys heraus. „Einer von den 50 Helden“ gedenkt jener verstrahlten und vergessenen Japaner, die in den geschmolzenen Atomreaktor geschickt wurden: „… werd ich ganz nah an Zuhaus/ Und ganz weit weg von früher sein“.
Die vorzügliche Band mit Andreas Albrecht, Marco Ponce Kärgel und Tobias Fleischer spielt meistens griffig-rustikal nach Art von Tom Waits oder Element Of Crime, lässt aber Maurenbrechers Klavier den Raum für kleine Meditationen wie „Vorher“. Mein Lieblingslied auf „No Go“ ist „Ich war in einem hellen Land“, eine ebenso enigmatische wie gefühlige Ballade mit Trompete, vielleicht der Traum vom Süden, vielleicht etwa ganz anderes: „Es ist so schwer, sich richtig zu erinnern.“ (Reptiphon/Broken Silence)
Boz Scaggs ist ein Mann aus dem Holozän des Rhythm & Blues, seine letzte Platte liegt zehn Jahre zurück, und schon deshalb habe ich mich auf „Memphis“ gefreut. Nicht auf die Slide-Gitarren und das Humpta-Humpta von „Dry Spell“ -doch Scaggs hat wunderbare Momente bei „Rainy Night In Georgia“, „Pearl Of The Quarter“ von Steely Dan, „Can I Change My Mind“ und dem vollends ergreifenden „Sunny Gone“. Mit „Mixed Up, Shook Up Girl“ und „Cadillac Walk“ singt er zwei Songs aus dem Repertoire von Willy DeVille. Aufgenommen wurde das Spätwerk im Studio von Al Greens verstorbenem Produzenten-Partner Willie Mitchell – in Memphis. (429 Records)
In der obsessiven John-Lennon-Nachfolge blieb Robyn Hitchcock stecken, dessen Kunst der Anverwandlung beinahe den Tatbestand des Epigonalen erfüllt. Hitchcock ist ein Adept der psychedelischen Phase Lennons, der es an Gefälligkeit fehlte. „Love From London“ ist eine verhangene, leiernde, ragaselige Platte, sie ist trübselig und poetisch, gallig und gewitzt. Das Lennon’sche Timbre, die Melodienführung, der Surrealismus und der höhnische Ton sind bei Hitchcock raffinierter als bei dem plumpen Noel Gallagher – aber leider sind seine Songs eher zerebrale Angelegenheiten. (Cargo)