Manic Street Preachers :: Postcards From A Young Man

Ein imposantes Pop-Meisterwerk ohne Kompromisse: Die Waliser gehen beim zehnten Album in die Vollen.

Mehr Streicher, mehr Chöre, mehr Refrains. Mehr Gitarren, mehr Gitarrensoli, mehr Slash. Mehr Manics. Mehr mehr. Das hat die Welt seit „Radio Gaga“ nicht mehr gesehen und gehört. Die drei Musketiere aus dem walisischen Blackwood haben ein Monstrum geschaffen, ein Monument, das für einen Moment alles erstarren lässt. Es ist ihr zehntes Album, und es mutet an wie ihr Vermächtnis.

„Wir sind zwei Bands“: Bassist Nicky Wire wird nicht müde, zu erklären, dass die Manic Street Preachers einerseits die Band sind, die unter dem Einfluss des für „vermutlich tot“ erklärten Richey Edwards steht und komplexe Werke wie „The Holy Bible“ und „Journal For Plague Lovers“ (das letzte Album von 2009 entstand ausschließlich mit hinterlassenen Texten des Gitarristen) meißelt – andererseits das Trio, das sich mit radiotauglichem Larger-than-life-Bombast wie „Everything Must Go“ Luft verschafft und Abschiedsbriefe zu himmelhochjauchzenden Hymnen umfunktionieren kann. So gesehen ist „Postcards From A Young Man“ der direkte Nachfolger von „Send Away The Tigers“ (2007), die Single „(It’s Not War) Just The End Of Love“ die nahtlose Fortsetzung von „Your Love Alone Is Not Enough“. Sänger/Gitarrist James Dean Bradfield und Wire kennen sich, seit sie fünf Jahre alt sind – mit 15 schrieben sie die ersten gemeinsamen Songs über den Streik der Minenarbeiter. Ihre Feuer lodern mit 41 nicht weniger als damals, als man noch mit Kajalstift hantierte. Im Gegenteil: Jetzt vollzieht man die Manifestierung zur „+ 13,5% extra“-Version! Jedweder Bevormundung wird sich entzogen, entscheidende Fragen werden gestellt. Kann man nur in der Einsamkeit man selbst sein? Ist, obwohl wir mehr tun als jemals zuvor, doch alles ohne Sinn? Kann die Menschheit mit Selbstsucht, Narzissmus und Hass überleben? „This world will not impose its will/ I will not give up and I will not give in!“, schallt es im furiosen Finale des Titelsongs, das an die späten Queen erinnert.

„Radio Gaga“? Queen? Richtig, und das war genau so beabsichtigt! Auch wenn „Postcards From A Young Man“ alle Stärken der Manics noch einmal potenziert, spielt man hier lieber als bei jeder anderen Band „Finde die Quelle“. Ist da nicht etwa ein Lindsey-Buckingham-Solo auf „A Billion Balconies Facing The Sun“, ein Bowie-Intro bei „Auto-Intoxication“? Sind das „Eleanor Rigby“-Streicher auf „Hazelton Avenue“? Die Beatles, aber vielleicht doch eher mit der Post-Produktion von Jeff Lynne? Mott The Hoople, die Faces? T. Rex sowieso. Und wo die späten Queen auftauchen, finden sich auch die ganz alten („The Descent, Pages 1 & 2“)! „Some Kind Of Nothingness“, das Duett mit Ian McCulloch (der sich hier – „Never stop!“ – selbst zitiert), schließt einen Kreis: Beim ersten Konzert, das Bradfield, Edwards und Moore in ihrem Leben besuchten, spielten Echo & The Bunnymen. Und die Legenden John Cale und Duff McKagan durften auch noch mitmachen.

Die letzte große Platte vor Sodom und Gomorrha. Ein imposanteres Fahne-in-den-Boden-rammen als jede „360°“-Tour! (sony) frank lähnemann

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