Marah – 20.000 Streets Under The Sky
Nick Hornby schreibt Elogen auf sie in der „New York Times“. Bruce Springsteen bittet sie zu sich auf die Bühne und sagt nicht nein, wenn sie ihn bitten, doch ein bisschen auf ihrem Album zu singen (dem letzten). Sie selbst stilisieren sich auf ihrer Website höchstens halbironisch zu „The Last Rock’n Roll Band“. Soweit der Hype, dem man ja nicht glauben soll. Und was sagt die Musik dazu?
Die Musik sagt, dass Marah den Hype überleben könnten. Notfalls auch mit dem Hut vor den Füßen in irgendeiner Fußgängerzone. Gibt es so was eigentlich in Philadelphia? Nach der Flucht, mit dem in Wales von Owen Morris (Oasis, Verve) produzierten „Float Away Wxth The Friday Night Gods“, ist Album Nummer vier die große Homecoming-Gala.
„East“ lässt gleich zum Auftakt von „20.000 Streets Under The Sky“ keinen Zweifel übrig.
„Tonight East is all I need to finally start to feel defined“, singt David Bielanko mit all der Emphase, die solche Zeilen brauchen. Wir haben es hier also definitiv mit Lokalpatrioten zu tun, die mal eben die „Pizzeria“ an der Ecke bzw. die Erinnerung daran feiern, dabei aber immer gleich die ganze Welt umarmen möchten. Und so ein Gefühl für einen Ort heraufbeschwören, den man schon immer zu kennen glaubte, auch wenn er Tausende Meilen entfernt ist.
Sogleich machen sich Bielanko und Bruder Serge auf in ihren „Freedom Park“, wo das Leben tobt. Auch hier ist, wie einst in „Rosalita“, die Erinnerung daran bereits implantiert. „Someday, someday we’re gonna look down, upon this strip of cold concrete and remember, remember, remember die sound of broken bottles beneath our feet.“ Gewiss, diese Jungs sind auch ein bisschen born to run. Aber sie kennen auch traurige Typen, die sind „born to be a witness, born to doubt the cross, born to suck a man off.“
Dem Transvestiten, der um sein Leben fürchtet, legen Marah ihre präziseste Poesie um die zitternden Schultern, „His skin is bar room shark fin, his lashes sardine tails…“ – „Feather Boa“ mag als eindringliche Charakterstudie der stärkste Song auf 20.000 Streets Under The Sky“ sein, aber oft zählt einfach nur der Sound dieser Platte. Die Straßengeräusche, die Seilspringenatmosphäre, die kleinen, zunächst kaum wahrnehmbaren Zitate von Doo-Wop bis Philly-Soul (natürlich). Und ja: es gibt auch Glockenspiel, Harmonika und eine verlorene Trompete…
Dazu Geschichten, die manchmal etwas dick auftragen, wie das Teen-Melodram von „Soda“. Aber hey: Haben wir Bruce nicht auch immer geliebt, gerade weil er sich nicht scheute, auch mal schön dick aufzutragen? So zelebrieren Marah einen Rock’n’Roll, der einfach ignoriert, dass es Post schon mal gegeben hat und Classic Rock zum Totengräber wurde. Keine Dekonstruktionsschleifen hier, kaum Nostalgie, nur jede Menge hübsche Girlanden für einen unverbogenen Straßeninstinkt. In ihren besten Momenten ist dann sogar der romantische Augenaufschlag ein „Sure Thin'“. Wenn auch nur für 1:51.