Martin Phillipps & The Chills – Sunburnt

Eine seltsame Arbeitsmoral herrscht dort unten in Neuseeland. Eineinhalb Jahrzehnte gibt es The Chills und The Clean schon, doch zu mehr als einer Handvoll Alben hat es weder die eine noch die andere Band gebracht. Aber was heißt überhaupt Band? The Chilis ist die Vision eines Mannes, The Clean das Hobby dreier widerstreitender Songwriter-Temperamente. Trotzdem: Hinter diesen beiden Namen verbergen sich die wichtigsten Exponenten eines Stils, der unter dem Etikett Kiwi-Pop nicht nur als obskure Fußnote in die Geschichte eingegangen ist. Auch wenn sich in den letzten Jahren nur noch Kuriositätensammler um die Platten aus Neuseeland gekümmert haben. Um so wichtiger ist der Doppelschlag, den das Traditionslabel Flying Nun jetzt unternommen hat Die schwierigere Ausgangsposition herrschte für Martin Phillipps von The Chills. Denn das letzte Mal hörte man von ihm 1992, als das Major-Album „Soft Bomb“ erschien. Ein ausgeklügeltes Pop-Werk, für das er mit seinem Idol Van Dyke Parks kooperierte. Ein Opus magnum, ein Endpunkt Das einstige Wunderkind, das die Chilis schon 1980 im Alter von 15 Jahren gegründet hatte, trieb seine Kunst auf „Soft Bomb“ zur Perfektion. Die Kritik jubelte, die Käufer bohrten sich lieber in der Nase. Phillipps verabschiedete sich.

Vorläufig. Denn was bleibt dem Liedermacher außer Liedermachen? Für „Sunburnt“ arbeitete Phillipps wieder auf dem niedrigen Produktionslevel der Anfangstage. Baß und Drums ließ er sich einspielen, den Rest besorgte er selbst. Konsequent, daß die Veröffentlichung unter dem Banner Martin Phillipps & The Chilis steht Der milde, aber markante Twingel-Beat, den der Veteran einst als Blueprint für den Kiwi-Pop entwickelt hat, bestimmt auch auf „Sunburnt“ die Dynamik. Das Keyboard, auf dem er komponiert, treibt den Song-Reigen voran. Die Eröffnungsnummer „As Far As I Can See“ oder das Titelstück „Sunburnt“ klingeln niedlich, doch die alte Magie stellt sich vor allem auf der zweiten Hälfte des Albums ein. Für „Lost In Future Ruins“ oder „Secret Garden“ bedient sich Phillips wieder komplexer Kompositionsprinzipien – und läßt seine Harmonien um so heller strahlen.

Harmonien spielen auch bei The Clean eine wichtige Rolle. Sie werden aber nicht flächendeckend aufgetragen, sondern blitzen in ihrem Experimental-Pop auf wie Konfigurationen in einem kubistischen Gemälde. Niemals lief das Trio Gefahr, in eine Sackgasse zu gelangen, jede Aufnahme ist ein Abenteuer ohne Vereinbarungen. Trotzdem ist jeder Ton von The Clean markant. Denn mit den Brüdern David und Hamish Kilgour sowie Robert Scott treffen drei eigensinnige Charaktere aufeinander. Wenn sie einmal nicht gerade mit anderen Bands (The Bats etc.) oder solo arbeiten, Bilder malen oder Kiwis ernten, schließen sie sich für ein paar Tage ins Studio ein. So entstand „Modern Rock“, eines der besten Alben

des Jahres 1994. So entstand auch das neue Werk „Unknown Country“, ein Nebeneinander von Sound-Skizzen und monochromen Pop. Hier der getragene Minimalismus „Balkans“, dort der federnde Beat „Twist Top“.

Moderner Rock, unbekanntes Land – The Clean dürfen ungestraft mit der Terminologie der Avantgarde kokettieren. Denn obwohl ihre Techniken denen von Velvet Underground anno 68 nichts hinzufügen, musizieren sie frisch und frei und vor allem: ernsthaft wie wenige andere Bands. Altes Terrain, neue Töne.

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