Meek’s Cutoff :: Michelle Williams, Paul Dano

Regie: Kelly Reichardt

Die Landschaft des amerikanischen Westens ist fast so still wie das Weltall. So still, dass der Wind, das Plätschern der Flüsse und der Gesang der Vögel zu einer vielstimmigen Sinfonie anschwellen. Man macht sich bei einem Hollywood-Western ja selten Gedanken darüber, wie die ersten Siedler wohl ihr Essen zubereitet haben, wie ein Gewehr mit Pulver nachgeladen wurde oder eben: wie der amerikanische Westen wirklich geklungen haben mag.

Die Ökonomie der Erzählung muss im klassischen handlungsbasierten Film eher dramaturgischen Regeln als dem Diktat des Realismus folgen. Kelly Reichardts Western „Meek’s Cutoff“ erzählt nun genau das: Er beschreibt die Strapazen eines Ritts durch den amerikanischen Westen und aus ihren Bilder spricht bereits eine innere Erschöpfung, wie man sie aus den Spätwestern des Genres kennt, die immer auch von der Müdigkeit des Westerners handelten, der seine Kräfte bei der Kultivierung des Landes aufzehrte.

Historisch betrachtet, fällt „Meek’s Cutoff“ allerdings in die Hochphase des klassischen Westerns, die Zeit des Oregon-Trails, Mitte des 19. Jahrhunderts, als der amerikanische Westen tatsächlich noch wildes Territorium war und die Übernahme des Kontinents nicht vollkommen abgeschlossen. Auch politisch beschreibt Reichardts Film ein Frühstadium: den Moment, in dem eine neu formierte Gesellschaft ihr Gemeinwesen entdeckt. Streitpunkt ist die historisch verbürgte Figur Stephen Meek, ein Trapper, der zu zweifelhaftem regionalen Ruhm kam, weil er einen Treck mit Siedlern über eine vermeintliche Abkürzung vom Weg abbrachte und in die Wildnis führte. Als der Film beginnt, sind Reichardts Figuren bereits an der Landschaft des Wilden Westens gescheitert. Die Wasservorräte gehen zur Neige, das Vertrauen der drei Familien in ihren Anführer ist erschüttert und die konsternierten Männer beraten, ob sie den Unglücksbringer nicht besser gleich am nächsten Baum aufknüpfen sollten. „Meek’s Cutoff“ ist zum Stehen gekommen, bevor er überhaupt begonnen hat.

Formal erfüllt Reichardts Film die maßgeblichen Kriterien des Westerns, und gleichzeitig setzt er die Regeln des Genres konsequent außer Kraft. Er korrigiert das Verhältnis der Menschen zur Landschaft (die Figuren werden meist aus der Distanz gefilmt, der Horizont ist dennoch selten zu sehen) und ersetzt das Pathos des „nation building“ durch die Pragmatik der Arbeit. Zeit ist hier die entscheidende Komponente, Reichardt entwickelt eine realistische Vorstellung vom Leben der Siedler durch eine dokumentarische Aufmerksamkeit für die Arbeitsroutinen: dem Wechseln der Wagenräder, dem Abseilen der Waggons einen Abhang hinunter oder dem Sammeln von Brennholz. Jeder Handgriff zeugt von den Mühen eines arbeitsreichen Lebens. Das schleppende Tempo dieses Lebensrhythmus veranschaulicht der Film mithilfe seines ureigensten gestalterischen Mittels: des Bildformats, für das Reichardt entgegen der Konvention des Landschaftsgenres Western nicht das breite Cinemascope, sondern das fast quadratische Academy Format gewählt hat. Für sie sei es wichtig, hat die Regisseurin im Interview erklärt, dem Zuschauern zu verstehen zu geben, dass ein Mensch mit den damaligen Mitteln gerade zwölf Meilen pro Tag vorankam. „Mit Cinemascope kann man dagegen schon in das Morgen beziehungsweise zurück ins Gestern blicken.“

Die zermürbende Monotonie von „Meek’s Cutoff“ beruht also auf einer Verkettung von sorgfältig gegeneinander abgewogenen künstlerischen Entscheidungen. Der zentrale Konflikt lautet: Wie kann eine Gesellschaft im Moment größter existenzieller Bedrohung ihre moralischen Werte verteidigen? Es ist eine der Frauen, die sich hier über das Recht des Stärkeren erhebt, als die Siedler einen „Native American“ aufgreifen, den Meek augenblicklich als tödlichen Feind und Bedrohung der Gemeinschaft ausmacht. Hier tritt schließlich Emily (Michelle Williams), lange Zeit schweigsame Beobachterin des Trecks, als zentrale Figur hervor. Sie ist die Einzige, die sich dem Anführer entgegenstellt und damit für eine Rechtsordnung einsteht, der sich auch ein Stephen Meek zu fügen hat. In „Meek’s Cutoff“ prallen zwei Kulturen aufeinander. Die frommen Siedlerfamilien und Meek als Verkörperung des Wilden Westens mit seinem archaischen Freiheitsversprechen.

Der Western ist in den letzten Jahrzehnten immer wieder mal für tot erklärt worden, und das nicht ganz zu Unrecht. Reichardt aber hat das Problem der historischen Distanz bravourös gelöst. Ohne den mythischen Ballast, den das Genre seit dem Tod der alten Helden mit sich herumschleppt, gelingt ihr ein frischer Blick auf die Ausgangsbedingungen des Genres. Gleichzeitig erinnert „Meek’s Cutoff“ daran, dass der Wilde Westen am Anfang auch ein hartes Stück Arbeit gewesen ist. (absolut)

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