Mit drei Konzerten verabschiedeten die Rude Boys sich von ihrem Publikum. :: North Face-freie Zone

„Hey, wo willst du hin?“ Der Schwarzmarkt-Händler an der Londoner U-Bahn-Station Hammersmith versucht, letzte Tickets für die ausverkauften finalen Specials-Shows loszuwerden. „Na, tanzen, Mann!“ Wie alle anderen hat sich der angesprochene Skinhead seine Karte im Vorverkauf gesichert.

Wie er tanzen wird an diesem Abend! 28 Jahre hat er auf seine „Jungs“ warten müssen, und nun haben viele seiner Kumpels ihre Söhne mitgebracht. Als nach John Barrys Titelmusik zur TV-Serie „Die Zwei“ die Schatten der Specials hinter dem Vorhang auftauchen und „Enjoy Yourself“ erklingt, gibt es kein Halten mehr. Mit „Do The Dog“ widmen sich die ergrauten Herren auf der Bühne sofort der Jugendkultur, bei „Gangsters“ bewegen sich unser Skinhead-Freund und seine Buddys auf ihren Stehplätzen auf und ab wie ein von Fußball-Ultras besetzter Stadionblock. Oben auf den Rängen sitzt ohnehin niemand mehr. Pork-Pie-Hüte fliegen und Bierduschen kühlen den Nacken, die „Rude Boy“-Rufe wollen nicht mehr enden. Europas größte The North Face-freie Zone – hier herrscht Fred Perry – im Rausch.

Die Specials sind zurück. Ihre ureigene Mischung aus Ska, Reggae und Punk lieferte den Soundtrack der späten Siebziger und frühen Achtziger, auch ihre Texte waren eine Momentaufnahme dieser Zeit: Arbeitslosigkeit und Rassismus, Wochenend-Frustrationen und Teen-ager-Schwangerschaften. Jetzt feiert die aus Coventry stammende Band ihren 30. Geburtstag – nach langen 27 Jahren spielte sie im September 2008 erstmals wieder zusammen und beendet nun mit drei Konzerten im Hammersmith Apollo den zweiten Teil ihrer „30th Anniversary Tour“. „Wir haben heute ein paar hervorragende Comedians zu bieten“, begrüßt Terry Hall sein Publikum. Es scheint dem Specials-Sänger gut zu gehen ein verschmitztes Lächeln huscht über seine Lippen. Jahrelang litt er unter Depressionen, bis die richtige Medikation gefunden wurde. Während sich der Benjamin der Band (50) in seinem Bewegungsdrang gewohnt zurückhält, joggen die anderen Specials über die Bühne, als wäre ihr Durchschnittsalter 19 und nicht 55 Jahre. Wie machen sie das nur? Neville Staple, der „andere Frontmann“ der Specials, als „Original Rude Boy“ für das Toasten zuständig, ist jedenfalls unablässig in Bewegung und lässt Flaschenwerfern keine Chance. Aber auch Lvnval Golding, der „andere Gitarrist“, funktioniert wie ein Duracell-Häschen. „Wir haben immer Musik gemacht, zu der man tanzen kann“, so Skabilly Kid Roddy Radiation, der seine Gitarre immer noch hält, als wäre es 1979 und das benachbarte Hammersmith Palais keine Ruine. „Aber jetzt spielen wir sie auch wie Tanzmusik!“ Und wie: Die Specials trumpfen auf, als hätten sie die ganzen 30 Jahre ununterbrochen getourt. Der englische Fernsehmoderator Mark Lamarr bringt es auf den Punkt: „If you were 12 in 1979, The Specials were easy peasy lemon squeezy the greatest band on the planet. If you’re 42 in 2009, nothing’s changed.“

Nur einer fehlt: Lvnval Golding widmet „A Message To You, Rudy“ gleichzeitig dem neuen Keyboarder Nik Torp und dem alten – Band- und 2Tone-Labelgründer Jerry Dammers, dem das Sozialverhalten eines Sonnengotts nachgesagt wird und der nicht zu dieser Tour überredet werden konnte. Ob er vermisst wird? Eher nicht. „Concrete Jungle“ und „(Dawning) Of A New Era“, „Rat Race“ und „Stereotype“, „Nite Club“ und „Monkey Man“ – jedes Stück ein großes Finale. Nur „Ghost Town“ bleibt eine eher unspektakuläre Zugabe. „Tut uns leid, dass es so lange gedauert hat. Aber diesmal bleiben wir da!“, verspricht Lynval Golding zum Abschied. „Rude Boy“, hallt es noch stundenlang nach dem Gig durch Hammersmith.

FRANK LÄHNEMANN

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