Natalie Merchant – Motherland

Über die ersten Schrecksekunden muss man erst mal hinwegkommen. Natalie Merchant klingt plötzlich wie Tracy Chapman, und das ist nicht schön. Aber dann fangt sie sich wieder, alles wird gut. Tatsächlich ist sogar dieser erste Song, „This House Is On Fire“, in Ordnung, sieht man vom prätentiösen Gesang ab. Geschrieben hat ihn die Merchant während der US-Wahlen in Florida, überarbeitet nach dem Genua-Gipfeltreffen. Da kann man schon mal die Orientierung verlieren und seine natürliche Stimme.

Ansonsten wirkt „Motherland“ durchweg wie das Werk einer Frau, die ihren Platz im Leben gefunden hat – und gerade deshalb nicht immer von sich selbst erzählen muss. So trägt sie mit zitternder Stimme „The Bailad Of Henry Darger“ vor, als Hommage an einen Mann, der jahrzehntelang ein 17000-seitiges Manuskript über versklavte Mädchen schrieb, nebenbei Maler war und wahrscheinlich verrückt. Natalie war stets eine von denen, die Kerouacs These zustimmen: Am faszinierendsten sind immer die Verrückten – die verrückt danach sind zu leben.

Über zwölf Songs wird dann auch das Leben in seiner ganzen traurigen, schönen, verwirrenden Bandbreite widergespiegelt Meistens ergreifen einen die Geschichten sofort, selten schießt Merchant übers Ziel hinaus. Wenn sie, wie auf „Put The Law On You“, versucht, sexy oder gar verrucht zu klingen, gleitet das leicht ins Gekünstelte ab. Dabei sind doch ihre einfachen Stücke am anrührendsten. „The Worst Thing“, das ganz spartanisch instrumentiert ist und doch mit voller Wucht trifft – so viel verschenktes Vertrauen, so viel Resignation. Im nächsten Song fangt sie einen wieder auf: „Teil Yourself“ wirkt wie die Fortsetzung des Schwangerschafts-Dramas „Eat For Two“. Teil zwei der Lebenshilfe für verzweifelte Mädchen behandelt Selbstbetrug, Lebenslügen und die Tatsache, dass man nie wie Barbie aussehen wird und vielleicht gar keine femme fatale sein muss, um wenigstens sich selbst zu gefallen. „Teil yourself it’s nothing new/ ‚cos everybody feels it, too.“

Ob es die Weisheit einer Mutter ist, die da spricht, oder doch das kleine Mädchen, an das sich Merchant noch erinnern kann? Aufjeden Fall scheint das Theatralische endlich von Natalie Merchant abzufallen – zurück zum wahren Leben.

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