Neal Casal

„Roots & Wings“

Vielleicht hat Neal Casal ja die Zeit seines Lebens. Sein letztes Album fand viel Gehör, dann heuerte Kumpel Ryan Adams ihn für die Cardinals an. Seither ist der Terminkalender voll, die Karriere des 40-Jährigen augenscheinlich auf dem bisher höchsten Level.In eigener Sache hatte Casal zuletzt einen Ausfallschritt gewagt. „No Wish To Reminisce“ ließ den zurückhaltenden Country-Schwof der vorangegangenen Alben beiseite und machte auf amerikanischen Pop mit überdeutlichen Sixties-Reminiszenzen. Der Titel war mithin Koketterie.

Nun war zwischen zwei Tourneen offenbar Zeit genug für ein Album, mit dem Casal zu seiner Kernkompetenz zurückkehrt. Beim Anhören von „Roots & Wings“ meint man zu spüren, dass Casal nach all den Konzerten und Rock’n’Roll-Weltreisen eine Atempause brauchte. Jedenfalls gibt es durchweg entspannten Westcoast-Country. Casal singt sanfte Lieder mit Slapback-Echo auf der Stimme, die Akustische schwingt weich im Fundament, fast immer sind Lapsteels und Slide-Gitarren im Arrangement.

Mit Jeff Hill, Greg Leisz, Jonathan Rice und anderen Freunden aus dieser eng vernetzten Musikerclique sind viele Könner im Line-up, doch das sanfte Schunkeln stören sie nicht. Es ergibt keinen Sinn, einzelne Lieder hervorzuheben – zu gleichmäßig ist der Strom, zu zurückhaltend der Grundton. Casal wirkt ein bisschen wie Josh Rouse, der in ähnlicher Weise jede Aufgeregtheit vermeidet; auch an die Eagles denkt man hier und da.

Ein Lied fällt aus dem Rahmen. In „Cold Waves“ singt Casal mit schmerzverzerrter Stimme „Someones always drifting away“, irgendwie geht es um Untergang und Haltlosigkeit. Auch Casal kommt kurz aus dem Gleichgewicht und taucht in einen dramatischen Mittelteil mit Phaser-Drums und psychedelischem Gitarrenspiel ein. Das Lied ist der Kontrapunkt zu dem anderen Klimax der Platte, „Signals Fading“, in dem wunderschön vielstimmig zu pointierter Rhythmik gesungen wird. „I’ve got nothing to lose except a little sleep“, singt Casal. „I send this out to you where ever you may be.“ Die Botschaft ist angekommen. (Fargo/Rough Trade)

Jörn Schlüter