Nell – von Michael Apted

Menschliche Wesen, die fast sprachlos jenseits der Zivilisation aufwachsen, haben schon immer die Filmemacher fasziniert. In „Der Wolfsjunge“ übernahm Regisseur Francoise Truffaut selbst die Rolle des Arztes, und Werner Herzog hat mit seinem Kaspar Hauser-Film, “ Jeder für sich und Gott gegen alle“ sein bestes Werk abgeliefert.

Man kann verstehen, was Jodie Foster an der Rolle der „Nell“ gereizt hat. Wenn Nell bei Sonnenun-tergang entrückt am See-Ufer steht und zu merkwürdig traumverlorenen Bewegungen etwas wie „Triehnewiehn“ ausruft, ist dies die Darstellung puren Glücks. Später wird der praktische Arzt Jerome Lovell (Liam Neeson) Nells Äußerung als „Trees in die wind“ deuten. Dieser unaufdringlich altmodische Film kommentiert den ewigen Wettstreit zwischen Schulmedizin und gesundem Menschenverstand, zwischen Psychiatrie und emotionaler Zuwendung.

Nach dem Tod ihrer Mutter wird die verstörte Nell in einer einsamen Hütte in den Blue Ridge Mountains von North Carolina gefunden. Eine Kommunikation ist unmöglich: Vor der geschlossenen Abteilung des Krankenhauses haben der nette Arzt Lovell und die arrogante Psychiaterin Paula Olsen (Natasha Richardson) drei Monate Zeit, die richtige Behandlungsmethode zu finden. So nisten sie sich in der Nähe der Hütte ein – Lovell im Zelt, Olsen im hypermodernen Hausboot Trotz ständiger Video-Überwachung taut Nell langsam auf.

Jodie Foster spielt dies wunderbar, wenn sich ihre Gesichtszüge langsam entspannen. Zum erstenmal hört sie Musik, zum erstenmal sieht sie einen nackten Mann, vor dem ihre Mutter so eindringlich gewarnt hatte. Leider ärgert uns Regisseur Apted mit einer völlig überflüssigen Coda: Fünf Jahre später tanzt Nell mit der Doktoren-Tochter im Gegenlicht am Strand. Dieser Kitsch hat uns gerade noch gefehlt.

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