Nick Cave & The Bad Seeds
Murder Ballads
Mute/EMI
Mord und Totschlag. Dankbare Sujets für jemanden, der bekennerhaft seine Obsessionen in Musik und Worte gießt Wiewohl Nick Cave natürlich seit jeher nur Abbilder von Gewalt und Wahnsinn, von Krankheit und Verfallenheit schafft, bloß die gesellschaftlich gerade noch verträglichen Klischees einer wüsten Künsder-Existenz unter Alkohol und Drogen. Cave gelang es ganz mühelos, zum kultisch verehrten Schmerzensmann und Jesusdarsteller zu avancieren.
In Wahrheit ist er natürlich ein aufgeräumter, freundlicher Gentleman, der gern zuviel trinkt und sich in der Londoner Dichterklause als Privatgelehrter bildet Das Bild von Cave entsteht etwa so: Journalist kommt in die karge Cave-Stube. An der Wand entdeckt er alte Blues-Platten, auf dem Boden liegen pittoreske Bücherstapel: Aha, Nietzsche! Aha, die Bibel! Aha, Shakespeare! Ein Buch über Folter, daneben Dante, Schriften über Jack The Ripper, Sammelbildchen von Jeffrey Dahmer! Kombiniere: Nick Cave arbeitet an Mord-Balladen. Die Saat des Bösen!
Aber seien wir gerecht: Caves „Murder Ballads“ sind eine veritable und würdige Kunst-Anstrengung. In peinlich ausführlichen narrativen Schreckens-Szenarien, bemerkenswerterweise in ihrem brutalen Lakonismus oft Springsteens „The Ghost Of Tom Joad“ ähnlich, erforscht Cave die „Sprache der Gewalt“, die der Auslöser für diese Sammlung war. Die Musik der Bad Seeds ist eine majestätische Schufthalde in rumpelnder Bewegung, zerrissen, marode, brennend. Kein romantischer Mack-The-Knife-Schmus, nirgends. Einzig das Kylie-Duett „Where The Wild Roses Grow“ taugt als gemütliches ironisches Lotterbett – und ist doch ein Akt der Grausamkeit: Hier geht es ja wirklich und wahrhaftig um die Vernichtung einer medialen Kunstfigur. Während sich Polly Harvey im psychotischen Zeter und Mordio natürlich wie zu Hause fühlt Es ist ein Reigen schauriger, derber Moritaten, eine Rollenprosa, in der überhaupt nur noch Handlungen, Ereignisse etwas bedeuten. Die Täter sprechen selbst, indem sie ihr Handeln beschreiben: „When I shot him, I was so handsome/ It was die light, it was the angle“, erklärt sich der Mörder in „O’Malley’s Bar“. Die Unbegreiflichkeit des Schreckens wird nirgendwo durch eine oktroyierte Kausalität des Rätselhaften beraubt: Die Tatsachen bleiben, was sie sind. Nick Cave beobachtet das mit auch voyeuristischem Staunen und grimmigem Witz. Das Grausen zur Sprache zu bringen heißt, die Dämonen im Garten zu exorzieren.