NUGGETS :: von Jörg Gülden
Noch immer lamentieren ein paar Vernagelte, daß mit Stevie Ray Vaughan auch der Texas-Blues zu Grabe getragen worden sei. Worüber SMOKIN‘ JOE KUBEK nicht mal mehr lachen mag, denn mit „Take Your Best Shot“ (Zensor BB 9600) legt der Mann aus Dallas sein bereits sechstes kongeniales Album vor. Den Reiz dieses richtungsweisenden, klischeefreien Bluesrocks macht nicht allein Kubeks funkenstiebende Gitarre aus, denn erst sein Partner, Rhythmusgitarrist und Sänger Bnois King, katapultiert einen Titel mittels seiner Kehlkopfakrobatik in Gänsehaut-Gefilde. Welchen Status Joe Kubek in der Blues-Szene genießt, beweist die Tatsache, daß der legendäre Little Milton es sich nicht nehmen ließ, bei zwei Songs als Leadgitarrist mitzuwirken.
Etwas Geduld ist gefragt, bis die BILL LYERLY BAND mal so richtig in Fahrt kommt Dann aber wird ihr „Railroad Station Blues“ (Riviere RIVI69) ein Bluesrock-Inferno und macht dieses energiegeladene Trio zum Alptraum der ZZ Tops dieser Welt Und auch hier ist ein ganz Großer als Gast mit dabei: Steve Earle, der sich auf „Hangman“ mit Sänger/ Gitarrist Bill Lyerly die Gesangsparts teilt Die volle Breitseite gibt’s schließlich mit dem über achtminütigen Titeltrack – die pure Bluesrock-Power in the fine Texas tradition.
Nach solch einem Adrenalinschub kommt eine Verschnaufpause mit den herrlich relaxten Country/Folk/Roots-Klängen von RONNY ELLIOTT & THE NATIONALS wie gerufen. Auf ihrem gleichnamigen Album (Blue Heart Records) erzeugen Ronny und die Seinen eine so anheimelnde Stimmung, als habe man sich eines Sommers zu vorgerückter Stunde ganz spontan in deinem Garten versammelt, um dir mit ein paar verschmitzten musikalischen Kabinettstückchen den Feierabend zu versüßen. Wenn Mandoline, Akkordeon und Fiddle zirpen und jubilieren, dann ist die Welt auf einmal ein Ort, wie er paradiesicher nicht denkbar ist Gegen diese Laid-back-Combo kommt selbst ein J.J. Cale fast hektisch rüber.
Sein Handwerk hat BRENT MOYER bei Richard Dobson, dem „Hemingway of Country Music“, erlernt und später als Gitarrist der Lynn Anderson Band verfeinert. Nun legt der Mann aus Nashville mit seinem zweiten Soloalbum „Truth Trust Dreams And Heart“ (Brambus 199806-2) ein reifes und stilistisch vielseitiges Werk vor, das alle „Nashville = Mainstream“-Assoziationen Lügen straft. Moyer kann croonen, er hat Tex-Mex, Cajun und Blues im Blut – und er schreibt Songs, die definitiv nicht wie von der music row-Stange klingen. Der Mann hat Vorbildcharakter für all die Ersatz-Country-Kretins seiner Heimatstadt!
Mit Parole Music“ (SAM Rec SAM 003) beglücken KEVIN JOHNSON & THE LINEMEN die Menschheit mit Volltreffer Nr. 3. Zwar hat der Bandleader seine Telegrafen-Crew mehr oder minder ausgetauscht, was aber dem brillanten Roots-Rock des Singer/Songwriter aus Baltimore nicht die Spur geschadet hat. Ob folkige Balladen oder halbakustische Rocker, Johnsons phrasierungsreiche Stimme hebt alles in andere Dimensionen. Und wenn er mal einen Song covert, dann poliert er eine Perle wie den „Buckskin Stallion Blues“ von Townes Van Zandt auf Hochglanz. Prädikat: wertvoll!
Wer beim Thema „Folk und Frauen“ vor Schreck nur noch „Joan Baez“ zu ächzen vermag, der darf sich jetzt durch das Duo BIG BLUE SKY von seiner Phobie kurieren lassen. Susan Crago und Jill Apolinario aus Florida überzeugen auf ihrem Debütalbum „On The Verge“ Brambus 199808-2) mit reifen Songs und betörendem Harmoniegesang. Und damit das Ganze nicht Gefahr läuft, in Richtung Volkshochschulen-Liederkränzchen abzudriften, werden sie meist dezent von Percussion und gelegentlich von einer Flöte unterstützt. Ihre Plattenfirma sieht in Susan und Jill bereits völlig enthusiasmiert „Floridas Antwort auf die Indigo Girls“ – und hat ausnahmsweise mal nicht die rosarote Promo-Brille auf.