Oben :: Der alte Disney-Zauber/Start: 17.9.

Cannes ist längst kein Ort mehr für innovatives Kino. Aber die Franzosen glauben, dort noch immer zu definieren, was wahre Kinokultur sei. Dass Pixars zehntes Werk „Oben“ als erster Animationsfilm die diesjährigen Filmfestspiele eröffnen durfte, kam also einem Ritterschlag gleich. So steht 14 Jahre nach „Toy Story“, der als erster Computer-generierter Animationsfilm das Genre revolutionierte, nach Milliardenerfolgen und mehreren Oscars fest: Pixar ist Kunst.

Seinen Vorsprung durch Technik hat Pixar zwar eingebüßt. Mittlerweile arbeiten alle Studios mit ähnlichen Programmen. Vor allem mit der Animationssparte von Dreamworks liefern die Nordkalifornier sich einen kreativen Wettstreit. Der Unterschied liegt weniger im Detail, eher im großen Ganzen: Den Leuten bei Pixar gelingen nicht nur atemberaubende Bilder, sie sind auf klassische Weise auch grandiose Geschichtenerzähler. Und sie schaffen mit jedem Film etwas Neues. Es wäre verständlich gewesen, hätte Pixar von „Findet Nemo“ noch zwei, drei Fortsetzungen nachgeschoben oder einfach weiter auf possierliche Tierchen gesetzt. Statt dessen probierte man es mit Monstern, Comicfiguren und Autos. Zuletzt waren es eine kochende Ratte und ein kastenförmiger Roboter – und nun ist es ein Rentner.

Carl Fredricksen und seine Frau Ellie begeistern sich seit ihrer Kindheit für Abenteuer und Luftfahrt. Gemeinsam träumen sie von einer Reise nach Südamerika. Dann stirbt Ellie. Wie sie ihren Lebenstraum verpasst haben, ja das Leben verging, erzählt ein Prolog, der für sich schon ein Meisterwerk ist: Wie beim Daumenkino ziehen die Bilder ohne Worte in Zeitraffer tragikomisch vorüber. Nun soll Carl in ein Seniorenheim, damit auf seinem Grundstück ein Hochhaus gebaut werden kann. Doch der sture alte Mann hebt ab – mitsamt seinem Haus. Angetrieben von Tausenden bunter Luftballons, steuert Carl nach Südamerika. Unterwegs bemerkt er den pummeligen Pfadfinder Russell, der beim Start zufällig auf der Veranda stand. Am Ziel treffen sie einen riesigen Paradiesvogel, der Schokolade liebt, sprechende Hunde und einen wahnsinnigen Entdecker, der mit seinem Zeppelin seit Jahrzehnten als verschollen gilt.

Was schon „Ratatouille“ und „Wall-e“ zeigten, gilt auch für „Oben“: Pixar renoviert virtuos den Disney-Mythos, gegen den ja es in den Anfangsjahren angetreten war, und setzt dennoch weiterhin ganz eigene Akzente. Traditionelle Themen wie Verlust und Vertrauen, Freundschaft und Mut rühren an. Visuell verbinden sich famos die Ästhetik der Charles-Lindbergh-Ära und die Atmosphäre der Expeditionsfilme der 50er Jahre. Und als wunderbares Zitat aus „Fitzcarraldo“ zieht der grummelige Carl an Seilen sein schwebendes Haus durch den Dschungel. Auch wenn im Schlussakt etwas hektisch die Action dominiert, spürt man: Dies ist ein Film von Menschen, die Kino lieben.

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