Orange Juice – The Glasgow School
Dies ist eine chronologisch kompilierte Platte, was dazu führt, daß der schrulligste Augenblick im Werk der Band Orange Juice gleich am Anfang kommt, zweimal hintereinander. „Moscow“, B-Seite der ersten Single, ein unbeholfen swingendes Indie-Shadows-lnstrumental, bei dem man den Draht auf den Gitarren hört, in der zweiten Version mit lustigen „Moscow!“-Rufen. Eine Hommage an den Kommunismus — oder an die Olympischen Sommerspiele des Veröffentlichungsjahres 1980. Eine süße Melodie, aber meilenweit entfernt von der pochierten Eleganz des späteren Polydor-Debütalbums „You Can’t Hide Tour Love Forever“.
Der größte Orange Juice-Moment kommt dann gleich im Anschluß: ein auf der Sonnengitarre geschrummtes Soul-Thema, „Blue Boy“, vom 21-jährigen, Wave-gescheitelten Edwyn Collins gesungen, samtig verschlafen, ins rasend Euphorische überschnappend. Collins trug zum Bühnenanzug manchmal ein Trapperhütchen mit Fuchsschwanz, und angeblich besuchte eine mehr zum Rock neigende Rivalen-Band die ersten Orange Juice-Konzerte m Glasgow nur, um „Schwuchteln!“ zu skandieren.
„The Glasgow Years“ sind die vier ersten Singles, ein Peel-Session-Track und zwölf Stücke eines damals verworfenen Albums (das in den 90er Jahren schon als „Ostrich Churchyard“ erschien). Was wir hier eigentlich hören, ist natürlich die Geburt des Indie-Pop als verwegenes Unterfangen, der vollendete Stilbruch, einer der Momente, in denen sich aus dem Nihilismus des Punk so etwas wie echte Haltung schälte. Kein Wunder, daß das Repertoire des schottischen Ultra-Independent-Labels Postcard Records von der Firma Domino wiederveröffentlicht wird, der Heimat von Franz Ferdinand — keine Kopisten, aber eine Band, die auf jenem Feld steht, das Collins und seine drei schüchternen Freunde Anfang der 80er bestellten.
Musikalische Referenzpunkte: Velvet Underground, Dylan, Byrds, Stax, New-York-Disco. Nicht auszuschließen, daß Collins auch Bing Crosby und Sinatra hörte. Für den Song „Intuition Told Me“ hat er eine Zeile aus dem Stöhn-Hit „Yes Sir I Can Boogie“ geklaut, und leider ist es in der heutigen Cut-and-Paste-Zeit kaum nachzuvollziehen, was das damals bedeutete.
Die Musik von Orange Juice, im Zwielicht zwischen den Geschlechter-Stereotypen, zwischen weißer und schwarzer Musik, klingt jetzt natürlich tapsig. Falsche Töne, schiefer Gesang von Co-Songschreiber James Kirk. Hörbare Unsicherheit beim Versuch, einen neuen Pop zu erfinden. Aber eine Frische und Aufbruchslust, die Platten von heute nie mehr haben werden.