Oya-Festival, Oslo, Middelalderparken :: Stilettos im Lesezelt

Jedes Festival, das auf sich hält, geht nach dem Ende im Gelände nicht gleich ins Bett. „Oyanatt“ heißt das dann auf dem viertägigen Oya (= Insel) und liegt angesichts der Club-Fülle im Zentrum von Oslo näher als anderswo. So erscheinen uns in der Geisterstunde von Freitag auf Samstag im „John Dee“ Klara und Johanna Söderborg. Sie sind sehr jung, sie nennen sich First Aid Kit – und sie intonieren eigene Songs wie „Tangerine“ und „Cross Oceans“ so herb-süß, als brauchten sie das Geld nicht und wüssten schon mehr über das Leben, als sie eigentlich wissen dürften. Nicht minder genuin ihr Fleet Foxes-Cover „Tiger Mountain Peasant Song“, und als Finale reichen die Söderborg-Schwestern eine aktualisierte Zeitlupenversion des Buffy St. Marie- bzw. Donovan-Protestklassikers „Universal Soldier“. Folk-Pop jenseits der Unschuld, betörend.

Was haben die Gastgeber diesem Schweden-Trumpf entgegenzusetzen? Abseits von Bewährtem wie Röyksopps Märchen-Show und Datarock mit ihrem Speed-Trash-Funk. Der Stadion-Pop von Pony The Pirate wirkt auf Dauer etwas zwangseuphorisiert, der Girl-Rock der Cocktail Slippers ist leider nicht halb so verrucht-gut wie es die Dirty Chicks-Optik und die Protektion von Steve Van Zandt nahe legen. Der weiße, schlanke Retro-Rave-Funk von The New Wine hingegen bringt schon nachmittags reichlich Bewegung vor die kleinste der vier Bühnen. Auch gefällt uns ein bärtiger Americana-Hüne: Tommy Tokyo ringt charmant mit bitter-komischen Familiengeschichten und städtischem Exilschmerz: „I’d rather spend the night with a grizzly bear…“

Bevor auf dem Festival immerhin eine Stunde mit der gleichnamigen Band drin ist, demonstrieren Wilco am frühen Donnerstagabend, warum sie als Live-Band im klassischen Spagat zwischen Song-Disziplin und Jam-Freiheit mit Stücken wie „Impossible Germany“ kaum Konkurrenz haben. Zwischen dem Material der letzten beiden Alben glänzt auch Älteres wie „Shot In The Arm“, „I Am Trying To Break Your Heart“ und ein erfrischender Ausflug zu Woody Guthries „California Stars“. Anfangs wortkarg, taut Jeff Tweedy zunehmend auf, um dann „Hate It Here“ als Soul-Drama samt Falsetto-Theatralik zu gerauften Haaren aufzuführen.

Dass Glasvegas nach Wilco die große Bühne entern, schien lange unwahrscheinlich. Keine Zeit zwischen Lollapalooza und Wembley-Gigs mit U2, hieß es. Bis dem Oya-Booker auffiel, dass just in der Festivalwoche dieses EM-Qualifikationsspiel Norwegen – Schottland ansteht. Tickets fürs Spiel ihrer geliebten Tartan Army bringen Glasvegas also doch noch auf die Oya-Bühne.

Viel zu sehen ist dann bei Lily Allen, die mit Transparent-Oberteil und kettenrauchend auf mindestens zehn Stiletto-Zentimetern als Vorstadtgöre-goes-Vamp daherstakst. In der Abendsonne kämpft sie eher mit zerlaufendem Make-Up und einem halbgaren Band-Sound als mit ihrer Stimme, die eigene Schmuckstücke wie „The Fear“ ebenso trägt wie ihre Britney-Referenz „Womanizer“.

Als solcher tritt der Kollege vom „Daily Mirror“ nicht in Erscheinung, eher mit wirrem Kommentar und selbstgebasteltem Ghettoblaster. Freitagabend stürmt er – die Hose unter den Knien ins Festivalhotel, laut über ein „faschistisches Land“ und nette Leute fluchend, die ja „Befehle befolgen“ müssten. Auf dem Festival scheitern vier freundliche Ordner an ihm, bis dann doch die Polizei kommt.

Tja, den richtigen Ärger müssen sich die Norweger ins Haus holen, auf ein bestens organisiertes, sauberes Festival, das quasi Rock’n’Roll ist ohne das, was viele immer noch für Rock’n’Roll halten – saufen, kotzen, durch die Gegend pissen…. Gibt’s hier alles nicht! Stattdessen unter anderem: ein Lesezelt. Oya? Gerne wieder.

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