Pearl Jam – Binaural

Der Vorspann läuft. Klassische Teen-Romanze, vierte Szene. Die Kamera wandert durch eine öde Vorstadt und fokussiert schließlich Little Miss Rockfan. Sie wird von zwei Typen umworben. Beide spielen den sensiblen Jungen, jeder auf seine Art. Anwärter Nummer eins macht einen schlampigen Eindruck, trägt eine Lederjacke, ist unangepasst, schüchtern und zugleich stur und hat den Hang, über alles zu brüten, ob Liebeleien oder die Welthandelsorganisation. Der Typ sieht aus wie Eddie Vedder. Anwärter Nummer zwei könnte ein smarter Student sein, der sich in Setbstverwaltungsgremien wählen lässt. Macht alles korrekt, schüttelt gerne Hände, will gefallen. Er kennt sich erstaunlich gut aus im Gefühlshaushalt anderer Leute und findet meist die richtigen Worte. Sieht aus wie das Double von Rob Thomas, Sänger bei Matchbox Twenty. Der Film wird sich um die Frage drehen: Wer darf Ms. Rockfan zum Ball ausfuhren?

Zurück in die 90er Jahre. Beide Bands, Pearl Jam und Matchbox Twenty, erreichten mit ähnlichen Mitteln ein Massenpublikum in den Staaten, beide umgaben sich mit einer Aura der Ernsthaftigkeit. Auch wenn sie aus unterschiedlichen Richtungen kamen. Pearl Jam bündelten die Überbleibsel des Underground von Seattle, und ihr Trip in die Top Ten war mit Gewissensbissen garniert und von der ständigen Angst begleitet, ihre Integrität könnte Schaden nehmen. Matchbox Twenty plagten derlei Sorgen nie. Sie traten später auf den Plan, im Fahrwasser von erfolgreichen Roots-Rock-Bands wie den Counting Crows und Hootie & The Blowfish, und hatten wie diese nur das Ziel, kommerziell abzuräumen. Ihre Wurzeln lagen in Orlando, Florida, und reichten nicht tief. Die Band war erst ein paar Monate alt, als sie mit tonträger

ihrem Debüt-Album „Youself Or Someone Like You“ 1996 die US-Charts eroberte. Seither gingen davon gut zehn Millionen Exemplare weg. Und da war doch noch was. Ach ja, Santanas Comeback-Smash „Smooth“. Hat Rob Thomas mitgeschrieben und gesungen. Bekam den Grammy für den „Song Of TheYear“.

Soweit das Trennende. Was indes überwiegt, sind die Gemeinsamkeiten beider Gruppen, vor allem in Bezug auf ihre Stellung in der Hackordnung der Dinge. Wobei es nicht so wichtig scheint, dass Pearl Jam international Fuß gefasst haben und auch auf Fans in Europa bauen können, während Matchbox Twenty außerhalb Nordamerikas noch nicht so bekannt sind. Entscheidender ist, dass die Spezies des mitfühlenden jungen Mannes mit Gitarrenbewehrten Gefährten vielfach verdrängt wurde von durchsetzungsfähigeren Lebensformen. Von den Macho-Flegeln des Rap-Metal etwa oder von den gewaltbereiten Brunfthirschen des Gangsta-Rap. Und natürlich von den einfältigen Konfektions-Bambis der Boygroups. Herausforderungen, auf die mit „Binaurttl“ und „Mad Season“ nun Antworten vorliegen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Pearl Jam klingen, als seien sie erleichtert über den musikalischen Klimawechsel. Produzent Tchad Blakes binaurales Klangbild – zwei Mikros da, wo die Ohren Hegen – ist direkt, ohne je aufdringlich zu sein. Spontaneität statt Politur. Die fünf Bandmitglieder tauschen sich aus, erörtern Liebe, Tod und soziale Verantwortung. Wie wir alle (außer Creed) haben Pearl Jam genug vom Grunge, besinnen sich auf differenziertere Ausdrucksformen: Post-Punk und Folk-Rock, Psychedelia und natürliche Produkte langer Jam-Sessions. „Binaural“ mag der Ruch des Unfertigen, Unausgegorenen anhaften, doch geht die LP auch Wagnisse ein. In „Soon Forget“ singt Eddie Vedder zur Begleitung einer einsamen Ukulele.

Matchbox Twenty gehen hingegen in die Vollen. Over the top. Jeder Song auf „Mad Season“ ist ein angestrengtes, episches Drama. Die Produktion lässt nichts aus: Streichermeer, Bläsersätze, Gitarrenwände, Chöre und ein Sammelsurium elektronischer Effekte. Und irgendwo dazwischen schüttet Rob Thomas sein Herz aus, tönt von Einsamkeit und Trennungsschmerz. Soll „Ich bin verletzbar“ signalisieren, greint dafür aber etwas zu narzistisch. Besser ist Thomas, wenn er zwischen Wut und Rache schwankt, dem „Last Beautiful Girl In The World“ abschwört oder sich in „Angry“ über die Rezeption seiner Person lustig macht Ein zorniger junger Mann mag er sein, aber gleichzeitig einer, der immer den Ausweg suchen, die Versöhnung. Und das verbindet ihn mit Eddie Vedder, dem man die Punk-Rock-Zitate immer weniger abnimmt, die Neil-Ybung-Anleihen dafür um so mehr. Wenn Pearl Jam leise sind, muss einem das Herz aufgehen. Wenn sie laut werden, ist es nichts weiter als gut gemachter Lärm.

Der Film nimmt eine Wende. Vor die Wahl zwischen Rob und Eddie gestellt, entscheidet sich Miss Rockfan für Puffy. Der ist keine Heulsuse, verspricht ihr Spaß ohne Reue. Und tanzen kann er auch.

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