Pearl Jam – No Code

Ihr Gemütszustand ließ auf den Titel „No“ schließen, aber Pearl Jam nannten das neue Album „No Code“. Dazu die übliche Geziertheit: nahezu no Interviews und jedenfalls no rechtzeitig, no Mainstream-Presse, no Fotos und no körperliche Anwesenheit bei Gesprächen. No shit!

Da trifft es sich gut, daß sie als amerikanische Band unschlagbar geworden sind. Eddie Vedder, Idol wg. Verweigerung, schlechter Laune, schwarzer Grübelei sowie politischer und künstlerischer Korrektheit, kann sich alles erlauben – und „No Code“ ist gewagter und gelungener, als man es ihm erlaubt (und zugetraut) hätte. Ach, das Selbstmitleid! Das Hadern mit dem eigenen Status! Die Kämpfe um Selbstbestimmung! Sie werden hier gerade nicht verhandelt, sie schwingen locker mit. Schon im ersten Song „Sometimes“ rückt sich Vedder ins Maß: „See my part/ Devote myself/ My small seif/ Like a book amongst the many on the shelf.“ Und ganz überraschend heißt ein Lied „I’m Open“ (eine sanft psychedelische Selbstbeschwörung) – das vom Meister der Verkapselung.

Auch in der Musik gilt kein Code. Es gibt einen Nachhall auf Vedders Arbeit mit Nusrat Fateh Ali Khan („Who You Are“), wüsten Wut-Rock („In My Tree“) und ein einminütiges Kürzel namens „Lukin“ – der Bassist der Seattle-Urväter Mudhoney heißt Matt Lukin -, es gibt die schwermütigen Abgesänge („Off He Goes“) und die süßholzigen, schmerzlich schönen Idyllen („Around The Bend“). Im rohen „Hail Hail“ fragt Vedder bang: „Is there room enough for both of us?/ Both of us apart?“ Die Band rockt dazu, ab gäbe es – hier stimmt es mal wieder – kein Morgen. „Smile“, eine sehnsüchtig gesungene Übung in Neil Young & Crazy Horse mit Mundharmonika, ist der Song zum Verlieben: „Why don’t you smile/ When the sun don’t shine/ I miss you all day.“

Man muß die reifen Beiträge des großartigen Schlagzeugers Jack Irons ebenso preisen wie die Talente von Stone Gossard und Jeff Ament. Traten die Jungs mit „Ten“ noch als pathetische Ballonmützen-Hippies an und nervten mit ästhetisierten Schwarzweiß-Ansichten, haben sie sich spätestens an der Seite von Neil Young als unprätentiöse Musiker bewährt. Sogar Jeff Aments beiläufiges Lagerfeuer-Ensemble Three Fish im Stil des „Clubs der toten Dichter“ hat seine rührend emphatischen Momente.

Man muß ebenfalls dankbar sein für die fehlende Anstrengung, mit der „No Code“ offenbar aufgenommen wurde und nun vermarktet wird. Fast unauffällig erscheint ein Album, das viele Hoffnungen weckt (und manche enttäuschen wird). Die Nirvana-Dröhn-Qualitäten von „Habit“ sind selten, der vorsichtige Sarkasmus dieses Songs auch: „Another habit is like an unwanted friend/ I’m so happy with my unrighteous self.“ Dräuend elegisch, mit tief knurrender Stimme trägt Vedder „Present Tense“ vor, den zentralen Song von „No Code“: „Are we getting something out of this/ All-encompassing trip? (…) You can spend your life alone/ Or you can come to terms and realize that you’re the only person you cannot forgive.“ Ein Muster auch an musikalischer Dramaturgie und Spannung. Mit „Mankind“ nehmen Pearl Jam das demnächst erscheinende Album von Evan Dandos Lemonheads vorweg. Dieser Song klingt wie das Versprechen, die Band werde womöglich bald bei Gartenparties aufspielen.

Es ist ein Album der Gesundung, das die Möglichkeit der Normalität im Kontinuum zart (und manchmal notwendig hart) andeutet. Niemand schäme sich einer Träne bei „Around The Bend“. Denn hinter jeder Kurve wartet eine Sonne, wenn wir Eddie Vedder richtig verstanden haben. No kidding.

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