PEARL JAM – Yield :: EPIC/SONY MUSIC

In der untergehenden Welt jener Musik, die noch kürzlich „Alternative Rock“ genannt wurde und da längst Mainstream war, scheint eine letzte Sonne. Schneller, viel schneller als die Smashing Pumpkins wollen Pearl Jam wissen, ob man Neil bung äC Crazy Horse und, sagen wir: Sublime wohl noch etwas entgegensetzen kann. Und nachdem RüM. durch den Abschied von Bill Berry nie mehr dieselben sein werden (eine Erleichterung, auch das), will Eddie Vedder dies demonstrieren: Wir sind eine Band, wir wandeln uns, wir haben weiterhin etwas zu sagen. Und das Sagen!

Vor anderthalb Jahren veröffentlichten Pearl Jam „No Code“, ihr bestes und am wenigsten erfolgreiches Album. Einerseits gab es keine Promotion, kein Video und kein Brimborium um diese Platte, andererseits ist sie aufwendig und liebevoll gestaltet wie keine vergleichbare. Hört man das eher zwiespältig aufgenommene Werk nochmals mit gebührendem Abstand, erkennt man unwillig, wie nah Vedder und Tonträger IM FEBRUARseine Mannen dem Besinnlichkeitskitsch und Selbsterkenntnisschwurbel kamen, den die Grunge-Prediger stets in die Gruft verbannen wollten. Allein Vedders – jawohl -Charisma und seine – yes – komplizierte Persönlichkeit ließen Sentenzen wie „There’s a sun around the bend“ nicht peinlich anmuten. Pearl Jam sind eine der wenigen emphatischen Bands, die einen zum Weinen bringen können. Bloß muß die Träne vorher schon da sein, und mit ihr die Bereitschaft, alles und jeden zu umarmen. Das ist die Technik, meinetwegen das Talent von Eddie Vedder. Er weint für die Welt. Manchmal brüllt er. Und er weiß immer weiter.

„No Code“ war gewissermaßen das Vater-Album, das jedem Rockmusiker um die 30 gestattet ist: Siehe, sprach Vedder, du bist nur ein Buch unter so vielen – und lebe in der Gegenwart, macht mehr Sinn. Grüble nicht, lebe! Dazu kam die Hippie-Lagerfeuer-Träumerei der bereits von der Geschichte begrabenen Three Fish unter Mitwirkung von Jeff Ament, die besser einen Film gedreht hätten: mit Johnny Depp, Ethan Hawke und Winona Ryder, ein bißchen Desillusionierung, ein bißchen Ziegenbart und viel Behauptungswillen in einer Arschlochwelt, in die sie unverschuldet geworfen wurden. Pearl Jam & Co. sind die letzten Gewährsleute für die Generation, die zwar nicht viel zu erwarten hat, aber auch schon zu alt zum Herumhängen ist und zu faul zur Rebellion. Sie sucht Innerlichkeit, weil es draußen so kalt ist und zum Heulen. Die Väter hatten die Stones, wir nur noch das Nachsehen. Pearl Jam in 20 Jahren?

„No Way“ heißt der dritte Song auf „Yield“, aber ausweglos ist nichts auf diesem Album, das mit bekannt wuchtigen, jetzt aber differenzierter gespielten Krachern beginnt und spätestens mit der Single „Given To Fly“ den pastoralen, hymnischen Ton annimmt, der von der kompakten Spielweise und Vedders warmem Bariton getragen wird. „Brain Of J“ und „Faithful“ und eben „No Way“ explodieren noch, als hätten Pearl Jam mal wieder ein Punkrock-Album aufnehmen wollen (in Wahrheit: ihr erstes). Die Plattenfirma zu „Given To Fly“: „Sie (die Single) ist grandios und es wird erstmals seit Jeremy‘ ein Video geben.“ Wird es nicht, statt dessen ein Heim-Video, womöglich von Cameron Crowe aufgenommen. Wir erinnern uns: „Singles“, der Film zum Grunge, Matt Dillon, Ziegenbart, Liebe in Seattle undsoweiter. Viel grandioser ist „Do The Evolution“, ein grimmiger, vibrierender, böser Brecher, in dem Eddie Vedder entfesselt brüllt: „It’s evolution, maybe!“ Oder „Baby“? Bester Song von Band.

Spätestens „Wish List“, auf Anhieb rührend, installiert den kontemplativen, den sehnenden Veddet „The christmas tree I wish I was“ – und vieles andere. Niedlich! Die Gitarre schwelgt und blutet wie das Jesulein. Als Prediger und Priester ist Vedder immer noch weniger pathetisch, gebläht und weltumspannend als Peter Gabriel (früher) und Bono (heute). Aber zusammen mit dem letzten und schwächsten Track der Platte, „All Those Yesterdays“ einer lahmen, uninspirierten Reprise von „Around The Bend“ und „Off He Goes“, dazu fast Mc-Cartney – verrät das Stück, daß es keinen Weg zurück zum Unprätentiösen, zum Einfachen und Ursprünglichen gibt Achtung: „Given To Fly“ gemahnt bereits an Bono und Bombast. Andererseits waren Pearl Jam natürlich niemals unprätentiös, einfach und ursprünglich. Diese Band arbeitet sich nicht voran, sondern zurück zum Stand der Unschuld.

Gänzlich verquält ist ein winziges, unbetiteltes Interludium mit technisch verzerrtem und sinnlosem Getöne (wie die Talking Heads vor 15 Jahren), das gleichfalls verfremdete „Push Me Pull Me“ samt törichtem, wie durch einen Lautsprecher geschicktem Gebrabbel -Schnickschnack, den Pearl Jam gerade bei Radiohead entlehnt haben oder beim Progressive Rock. Sofort wieder einstellen! Flüstertüten, Alarmsirenen und Anrufbeantworter und Hörspielschnipsel und andere Verfremdungseffekte benutzen nur Wichtigheimer, Schnösel und HipHopper.

Und was, Brüder und Schwestern, halten wir also von „Yield“? Eher ein Schrei als ein Wispern. Sensibel. Laut Feist Souverän. Solide. Staatstragend wie die „Air Force One“. Vorwärts durch Stagnation. Bloß karstige, menschenleere und trostlose, mithin schwer romantische Landschaften mit Straßenschildern nach Nirgendwo wirken heute billig.

Im Hinterkopf behalten.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates