Pet Shop Boys – Fundamental
Es gab einmal eine Zeit, da gingen die Pet Shop Boys voraus. „Rent“, „Suburbia“ und „Opportunity (Let’s Make Lots Of Money)“ hatten die 80er Jahre schon zusammengefaßt, als noch Spandau Ballett und Duran Duran die Paradigmen der Dekade verkörperten. Zynismus, Entfremdung, Habsucht und Hedonismus wurden unwahrscheinlicherweise in Hits zugleich gefeiert und gegeißelt. Die 90er Jahre begannen dann pünktlich 1990 mit „Behaviour“ – Melancholie, kaputte Liebe, Wahrheitssuche und das Meisterstück „Being Boring“: Es war die Ahnung, dass die Party vorbei war, jenes Treiben aus „Smash Hits!“-Schwachsinn, Camp, halb eingestandener Homosexualität und cleveren Wortspielen. Während Chris Löwe begeistert schlechte Disco-Musik und immer dieselben vier Bowie-Singles hörte, sinnierte Neil Tennant darüber, welche Musik man okay finden dürfe.
Als es okay war, die Pet Shop Boys zu hören, gipfelte ihr Gesamtkunstwerk in „Very“ und dem unvergesslichen „Go West“, und als sie langsam egal wurden, gelang ihnen das großartige Spätwerk „Bilingual“, auf dem brasilianische Trommeln, Streicher, Salsa-Bläser und tschilpende Kinderstimmen zu einer überwältigenden Apotheose des Kreatürlichen zusammenstimmten. Es war ein rauschender Abgesang, widersprüchlich, gleißend, euphorisch und erotisch. Besser als bei „Discoteca“, „Single-Bilingual“, „Se a Vida e“, „A Red Letter Day“, „The Survivors“ und „Before“ konnten die Pet Shop Boys nicht werden.
Wurden sie dann auch nicht. Neben dem monströsen Fehler, sich auf Bühnen zu stellen, missglückten Tennant und Löwe auch die nächsten Platten. Ein ödes Großprojekt wie die Musik zu „Panzerkreuzer Potemkin“, der ja bereits eine Musik hatte, hätte besser zu einem Megalomanen wie Peter Gabriel gepaßt. Das Album „Release“ war gleich nach seiner Veröffentlichung vergessen.
Neil Tennant ist jetzt 51, ein Alter, dessen Erreichen er sich niemals vorstellen, geschweige denn wünschen konnte. Er zürnt mit Labour, guckt wenig Fernsehen und hadert mit den Zeitläuften. „Fundamental“ soll politisch zu verstehen sein. „The Sodom And Gomorrah Show“ handelt – wie Peter Gabriels „Barry Williams Show“ – von einer Fernsehsendung und einem jungen Provinzler, denn den Pfuhl der Großstadt taucht. Die Erwähnung von Sodom und Gommorha machte das Stück (im Britannien des Jahres 2006) als Single unmöglich. Statt dessen gibt es das hohl bumpernde „I’m With Stupid“ (lese: Blair mit Bush) samt Lowes patentierten Synthesizer-Fanfaren und Gesummse, das wie Gewitter klingt. „Psychological“ belehnt den Kraftwerk-Minimalismus, während „Minimal“ zu den üppigeren (und besseren) Stücken zählt. Die Balladen – „Numb“, „Luna Park“ – haben das wohlige, altväterliche Pathos von David Gilmour, „Casanova In Hell“ ist eine süßliche Schnulze mit falschem Orchester-Aplomb, in „Twentieth Century“ erinnert „Sometimes disillusion is worse than the problem/ Let’s stay together“ an glorreiche Tennant-Zweizeiler, leider ohne einen nennenswerten Song.
„Indefinite Leave To Remain“ und „Integral“, womöglich zwei weitere Kommentare zur Sicherheitslage in London, wären als peinlich zu bezeichnen, kämen sie nicht von den Pet Shop Boys. Sie sind als peinlich zu bezeichnen, weil sie von den Pet Shop Boys stammen: das erste Stück ein symphonischer Schmachtfetzen, das zweite ein wummernder Lowescher Vollrausch aus der Ibiza-Discothek, der stellenweise ein wenig nach der Remix-Fassung von Nenas „Leuchtturm“ klingt.
Es war einfacher damals, als man nur gegen die Queen sein musste.