Phillip Boa

Lord Garbage

MOTOR MUSIC

Die Welt lebt von Ritualen, und die Welt überlebt durch Rituale. Machen wir uns mal nichts vor. „Roman Herzog hat eine Rede gehalten“, zum Beispiel. Oder auch: „Der Rock ist tot!“ Sich ändern, sich neu erfinden, radikale Schnitte, Abbruch. Dieses Gebrabbel immet Und immer wieder: Phillip Boa hat ein neues Album herausgebracht; der ist gar nicht tot, der ist gar nicht doof. Musikredakteure aber verdrehen die Augen. Wie schade!

Phillip Boa hat nämlich nun sein Solo-Debüt veröffentlicht. Den Voodooclub gibt es nicht mehr, wir haben kein Alterswerk, keine Memoi ren, sondern eine Gewinnausschüttung aus soundsoviel Jahren, igitt: „Underground-Pop“. Die Plattenfirma ist völlig aus dem Häuschen, wen wundert’s, das muß sie sein: „Kategorisieren“ gehe schon mal gar nicht, vielmehr seien die neuen Songs entstanden „in Italien und Frankreich, auf seinen Reisen“ und inspiriert gar durch „besonders die französischen Spätimpressionisten“.

Und trotzdem, wenn auch ein „Neuanfang“ die Lebenslüge aller Traditionalisten ist, so mußten doch ein paar Dinge schlicht darob neu definiert werden, daß die alten Modelle futsch waren. Trennung von Ehefrau und Sängerin Pia Lund. Puh. Zurück aus Malta. Neue Frau. Neues Glück. Neue Musiker. Neuer Produzent, neue Arbeitsweise, weg aus den immergleichen Abläufen und Strukturen, zwangsläufig. Aber alte Plattenfirma, gerade nochmal so. Die „Kunstausstellungen“ und „Laptop Keyboards“, die der Presse angepriesen werden und wohl Respekt schüren sollen ob solcher Rastlosigkeit und Genialität und Inspiriertheit, lassen wir mal beiseite.

„Lord Garbage“ ist eine Platte von großer Notwendigkeit, zumindest für den Künsder, das sehen wir ein. Hatten die letzten Boa-Platten vor allem einen Basis-Sound, immer weniger dezidierte Songs und Einzelideen, so ist „Lord Garbage“ eine Anknüpfung an früheres Boa-Gewerkel: eher ein Sammelsurium, viele Sound-Brüche und eher die große Collage als der gußeiserne Vorhang. Gut so. Und Hits für die jungen Leute in den Rockclubs, die gibt es immer noch: die Rockclubs, die jungen Leute und deren Hits. Mindestens drei auf dieser Platte.

Und noch mal die Plattenfirma: Boa habe es „unterlassen, sich den Trendstürmen zu unterwerfen“. Ächz. Das macht ihn so auch zum staatstragenden Altvorderlader, aber „Lord Garbage“ ist eine gelungene Platte, wirklich, mindestens so gut wie früher „Hair“ obwohl es natürlich keiner mehr so recht hören und wahrhaben will. Keep working, Wahl-Malteser, äh, Spät-Impressionist…