Polly Paulusma – Scissors In My Pocket
Im Pop wird jede Lücke geschlossen, bevor sie überhaupt entsteht. Schon vor der letzten – schätzungsweise zehnten – Wir Sind Helden-Single bevölkern ihre stromlinienförmigen Klone die Charts, so dass es uns vermutlich nicht einmal auffallen würde, wenn die ehrgeizige Judith mal eine Auszeit nähme. Neue „The“-Bands gibt’s mehr, ab jemals nachgefragt werden können, und irgendwo züchten sie wahrscheinlich auch schon die neuen Coldplay (Gott behüte).
Nur eine Lücke klafft da schon seit vielen Jahren. Wo sind eigentlich die selbstbewussten, auch handwerklich versierten Songwriterinnen in der Tradition von End-60er/Anfang-70er Großkünstlerinnen wie Carol King, Laura Nyro oder gar Joni Mitchell. Tori Amos? Zu esoterisch. Aimee Mann? Zu sehnig und herb. PJ Harvey? Zu hysterisch. Sheryl Crow? Ein wandelnder Rockismus. Joss Stone? Jewel? Norah Jones? Sehr witzig. Entspannungsmusik für Mit-40er in Führungspositionen, die in ihrer Freizeit Schirmmützen tragen.
„Scissors In My Pocket“, das Debüt der der britischen Songwriterin Polly Paulusma, füllt die Lücke da schon eher. Blumig-akustische Instrumentierung für Songs zwischen Folk und Jazz. Im Mittelpunkt steht jedoch die Stimme. Ein bisschen Eddie Brickell (aber nicht so überdreht), mal spitzbübisch wie Ricky Lee Jones, sehnsüchtig wie Carole King, eindringlich wie die wundervolle Fiona Apple (die hätte ich fast vergessen).
Man soll ja bekanntlich nicht rennen mit einer Schere in der Hand, aber mit Scheren in der Tasche (in einem mobilen Abspielgerät) kann man sich beruhigt auf einen längeren Lauf machen. Wenn einem am Ende die Puste ausgeht, ist auch „Scissors In My Pocket“ etwas in Atemnot und versprüht die Ereignislosigkeit einer James-Taylor-Platte – nach getaner Arbeit ist das ja auch mal ganz schön.