Print-Pop von Frank Schäfer
„Lovers Club. Eine Stimme aus dem Off“ (Merve, 10Euro) von D. Holland-Moritz erzählt eine mal nicht ganz so typische Coming-of-age-Geschichte, weil die Provinz, aus der er kommt und die ihn formt, hier Solingen heißt, und Solingen nicht nur durch und durch rostfrei ist, sondern gerade deshalb auch ein psychedelischer Höllenpfuhl resp. Paradies für Drogenschlucker. Holland-Moritz poetisiert, beschönigt aber nichts, versucht nur zu verstehen, warum er und seine Leute damals ans Heroin geraten sind. Zum einen wohl, weil sie ganz handgreiflich spüren und darunter leiden, dass die kollektive Wärme der Sixties vom kaltschnäuzigem Opportunismus der Seventies (der „Me-Dekade“) abgelöst wird. Zum anderen aber auch aus reiner Langeweile, weil es letztlich nur drei Pfade gibt, die aus der Stahlbeton-Tristesse hinausführen: Kunst, Sex, Drogen. Und auf allen dreien ist man dann mit religiösem Eifer gewandelt.
Aber der Autor entgeht der Gefahr allzu großer Emphase und also der Selbstapotheose. Nicht zuletzt durch die Form. Wie im großen Referenzwerk, Bernward Vespers „Reise“, changiert der Text zwischen eher distanzierter Erinnerungsprosa (eben wie „aus dem Off“ gesprochen), expressiver Drogenlyrik und politisch-soziologischer Essayistik. Wirklich harter und wirklich nicht immer goutierbarer Stoff mithin. Eine Herausforderung an den Leser. 2,0
„Indien kann warten“ (Suhrkamp, 18,90 Euro) von Magnus Mills macht sich lustig über einen etwas tumben, jedenfalls indolenten und konfliktscheuen Easy Rider, der nach einem durchgeplockerten Fabrik-Jahr auf eine lange Reise nach Indien gehen will, zum Zwecke der Selbstfindung, darf man vermuten.
Schon auf der ersten Station in der Pampa Nordwestenglands bleibt er hängen, weil ihn der diabolisch-bauernschlaue Mr. Parker, der Besitzer des dortigen Campingplatzes, für sich einspannt, mehr und mehr hineinzieht in den dörflichen Mikrokosmos aus Arbeit, Guinness, Dart-Spiel und frühreifer Tochter.
Aus dem Urlauber auf Durchreise wird nach und nach der sozial akzeptierte Milchfahrer des Dorfes – und Beinahe-Knecht des autoritären Mastermind Parker. Der Witz daran ist, dass er selbst von seiner allmählichen Assimilation erzählt und es nicht merkt bzw. sich einfach nicht dagegen wehren kann, wie sich die Schlinge immer weiter zuzieht. Mills literarische Finesse zeigt sich aber vor allem bei den wirklich komischen Dialogen. Hier offenbaren sich die ruralen Querschädel in ihrer ganzen Einsilbigkeit, Halsstarre, in ihrer krausen Debilität und gelegentlich eben auch Monstrosität. Ein Trostbuch für Stadtneurotiker. 3,0
„Messer“ (Eichborn, 29,90 Euro) von Till Lindemann dagegen ist so trostlos wie ein frisch gepflügter niedersächsischer Acker. Herausgegeben hat diese postexpressionistische Pennäler-Lyrik des Rammstein-Frontmanns dessen Licht- und Pyrodesigner Gert Hof. Selbiger zeichnet auch für die Fotos verantwortlich, die einen bleich geschminkten, kopfrasierten Lindemann im Latexstrampler zeigen, der mit unterschiedlichen Schaufensterpuppen posiert. Bisschen geschmacklos das Ganze – muss ja!
„Eine Begegnung einer Kunstfigur mit anderen Kunstfiguren“ soll das sein, schreibt Hof, und das ist so ziemlich der einzige gerade Satz in seinem ärgerlichen, weil anmaßenden, kopflos prahlerischen und verblasenen Vorwort, das immer wieder neue absurde Wendungen dafür findet, was diese Gedichte alles könnten und wollten und vor allem seien: „ein Riss, der durch die Realität geht“, „Verbale Hinrichtungen, poetischerSuizid“,ein „Fallbeil aus Worten“, „ein Florett gegen das Mittelmaß“ und so weiter. Lange nicht mehr so viel Real-Dada gelesen wie auf diesen anderthalb Seiten.
Und Lindemanns Gedichte sind nicht besser: infantiles Provo-Geprotze, das sich mit den handwerklichen Mitteln der gymnasialen Oberstufe ausgerechnet der lyrischen Moderne anbiedert, Baudelaire, Rimbaud, Benn et alii hinterherzuschreiben versucht – und daran sind nun wahrlich schon ganz andere gescheitert. Lindemann watet im Blut, Eiter, Rotz, heimwerkert fröhlich unbedarft an Hässlichkeits- und Gewaltvisionen, die ohne das R-Gerolle und das martialische Kettengerassel seiner Band nichts weiter sind als lachhaft puerile Knittelei, die reine Prätention: „Wehen Liebeswinde flau / küsst Mann auch die fette Frau/ die Seele tief im Wasser liegt/ auch Frau nimmt alles was sie kriegt / Du bist jung/ und ich bin nett/ ich hab ein weiches Doppelbett/jedes Schiff braucht einen Haien / warum willst du nicht an mir schlafen.“ Das ist nicht nur metaphorischer, sondern auch metrischer Murks. Und dabei bekommt man hier laut Hof nur Ausgewähltes zu lesen, das Beste aus „Über tausend Gedichten“! Na dann.
Lindemanns Problem ist seine gänzliche formale Unbedarftheit, die sich mit Härte und einem altmodischen Genie-Gestus zu camouflieren sucht. Dabei sind diese Verse oft so läppisch, dass man an Parodie denken könnte, wenn er mit seinem Leidenspathos und Dickdenkertum nicht immer wieder so penetrant die hehre Kunst für sich beanspruchte. Nein, er meint das alles ganz ernst – lachen muss man trotzdem. 1,0