
Mit 60 feiert Rickie Lee Jones „Christmas In New Orleans“, auf der anderen Seite von Tennessee Williams’ Drama. Ziemlich besinnlich. Hübsch desillusioniert. Aber nicht einen Funken bitter. Nachdem sie –
nach allem, was war – eines Tages auf ihre Welt blickte, fühlte sie „little else but love“. Da ist jeder
Sonnenaufgang ein neuer Anfang. Doch hatte man nicht schon früher, spätestens 1989 nach ihrem Grammy-dekorierten „Makin’ Whoopee“-Duett mit Dr. John, das Gefühl, diese Frau gehöre nicht nach L.A., sondern in die „Crescent City“? Wo sie einfach so „I am badass … but who cares“ sagen kann?
Auf „The Other Side Of Desire“ trägt Rickie Lee Jones die Tradition der Stadt nicht wie eine Monstranz vor sich her. Stattdessen wirkt sie eher wie eine anpassungsfreudige Straßenkatze, die immer noch ein bisschen erstaunt durchs neue Revier streunt. Voller Sehnsucht in „Valtz De Mon Pere (Lovers’ Waltz)“, ein bisschen abgeklärter und in Fats-Domino-Fußstapfen mit „J’ai Connais Pas“. Und klar, „I have not grown up with the local evil“, aber wie sie sich anfühlen, die lokalen Dämonen, kann sie in „Haunted“ schon ganz gut nachempfinden.
Warme Off-Beats und ein Tick Gospel grundieren „Blinded By The Hunt“. „And I know what I want; at least, I tell myself“, singt Jones, um dann bald „touch me if you can“ zu flehen. Aber ein merry-go-round bringt sie längst nicht mehr ins Stolpern. Vielmehr reimt es sich hier auf „Feet On The Ground“, als kleine, ominöse Hymne aufs Leben und vielleicht auch auf sich selbst.
Fast so lasziv und scheinbar naiv wie einst schlüpft Rickie Lee Jones zum Auftakt noch einmal in ihre „Jimmy Choos“, zwischen Motel 6, bösen Cops, Truck-Stops und einem „vampire smile“. Doch die Wirklichkeit sieht längst anders aus. Da verscherbelt sie ihre High Heels aus glorreich-grausamen Tagen als
„Duchess Of Coolsville“ in der Pledge-Kampagne zum Album. Jones hat wohl einfach nur begriffen, dass es auf der anderen Seite des Begehrens vor allem ums Loslassen geht. Selbst – oder gerade – in New Orleans.
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