Robert Altman :: Nashville
Robert Altmans Episodenfilm "Nashville" ist eine panoramaartige Satire der amerikanischen Gesellschaft zwischen Countrymusik, Richard Nixon und 200-Jahr-Feier. Ein Rückblick zum 40. Jubiläum.
„Nashville“ ist nicht nur der bedeutendste Film von Robert Altman, sondern ein Meilenstein amerikanischer Kinogeschichte. 1975 auf dem Höhepunkt der „New Hollywood“-Ära erschienen, die Altman bereits mitgeprägt hat, ist der Film eine Bestandsaufnahme der amerikanischen Gesellschaft im Umbruch. Mit 24 gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Charakteren und deren episodisch ineinander verzahnten Storylines bietet „Nashville“ ein geradezu panoramaartiges Porträt der Bewohner der Südstaaten-Stadt – und dekonstruiert dabei amerikanische Mythen und Selbstbilder.
„Nashville“ funktioniert durch seinen Aufbau weniger über die psychologische Tiefe einzelner Figuren oder Handlungsstränge. Sondern bündelt seine Fülle an Perspektiven und Ideen in einzelnen Sequenzen, die zwar auf den ersten Blick nur lose miteinander verbunden sind, aber eine virtuos durchdachte Gesamtkonstruktion offenbaren. Eine dieser Szenen findet sich gleich zu Anfang: Wir befinden uns in einem Studio, in dem der alternde Countrystar Haven Hamilton eine feierliche Hymne zum Anlass der bevorstehenden 200-Jahr-Feier der USA aufnimmt: „My mother’s people came by ship and fought at Bunker Hill. My daddy lost a leg in France, I have his medals still. My brother served with Patton, I saw action in Algiers. Oh we must be doing something right to last 200 years“. Das Gemeinschaftspathos des Songs untergräbt Altman genüsslich, in dem er in langsamen Kameraschwenks immer wieder Havens wütendes Gesicht zeigt, der schlussendlich seine Sessionmusiker beschimpft, weil diese nicht nach seiner Pfeife tanzen. „You get your hair cut. You don’t belong in Nashville“ ruft der Cowboy einem langhaarigen Pianisten hinterher, nachdem dieser gefeuert wurde.
„Nashville“ ist sperrig, es wächst mit mehrmaligem Ansehen. Sowohl die Fülle an Charakteren, die ohne die klassische Hierarchie aus Haupt- und Nebenfigur auftreten, wie auch die komplexe Episodenstruktur, die nichts mit jener Raum- und Zeit-Kontinuität üblicher Hollywood-Dramaturgien gemein hat, sind in ihrer Fragmentierung eine Herausforderung der Sehgewohnheiten. Eben diese Sehgewohnheiten hatte ja das klassische Hollywoodkino etabliert – und über diese wurden jene patriotischen Mythen kommuniziert und verbreitet, die in „Nashville“ der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Denn genau darum geht es Altman hier: um ein anderes, genaueres, umfassenderes Sehen, das es ermöglicht, hinter die glitzernde Fassade jener trügerischen Bilder zu sehen. Nicht zuletzt deshalb dominieren in „Nashville“ vor allem Szenen in Innenräumen (Schlafzimmer, Aufnahmestudios) und solche, in denen große Massenveranstaltungen choreografiert sind – Bilder, die die öffentliche Rolle bzw. Performanz der Charaktere zeigen und solche, die den Blick auf die widersprüchlich auftretenden Menschen hinter diesem Schauspiel freilegen.
So sind es auch die Konzert- und Versammlungsszenen, die als die denkwürdigsten Momente von „Nashville“ in Erinnerung bleiben. Ähnlich wie Federico Fellini, dem Zauberkünstler des italienischen Kinos, war Robert Altman am Set ein extrovertierter, geselliger Mann, der buntes Treiben, eine familiäre Atmosphäre und das Inszenieren fülliger, ausschweifender Szenen liebte. Mit Kamerafahrten, Zooms und Schwenks changiert Altman zwischen weiten Totalen und Nahaufnahmen und mischt auf der Tonebene verschiedene Dialog- und Geräuschspuren ineinander, sodass eine Atmosphäre entsteht, die durch eben jene Offenheit dem Zuschauer einen realistischeren Zugang ermöglicht. Der Blick hängt hier mehr vom jeweiligen Betrachter ab, als dass er vom Regisseur vorgegeben wird – was beim ersten Anschauen eine gewisse Anstrengung erfordern mag, ist im Endeffekt aber eine Befreiung des Zuschauerblicks.
Durch seine episodische Struktur verknüpft Altman in „Nashville“ Szenen, die im klassischen Hollywoodkino bestenfalls in mehreren Filmen verschiedener Genres untergebracht worden wären – und belebte damit nicht nur das Autorenkino seiner Zeit, sondern schuf eine Blaupause für das literarisch ambitionierte amerikanische Independentkino von Jim Jarmusch über Quentin Tarantino und Alexander Payne bis hin zu Paul Thomas Anderson. Ganz zu schweigen von der amerikanischen Fernsehlandschaft der letzten 20 Jahre, von „The Sopranos“, „The Wire“ und „Mad Men“; allesamt Serien, in denen der Einfluss Altmans ebenso stark nachhallt wie der des serialisierten Romans des 19. Jahrhunderts.
Dass „Nashville“ nicht nur ein bahnbrechender filmästhetischer Sprung ist, sondern eines der Meisterwerke des (nicht nur amerikanischen) Kinos der 1970er, liegt daran, dass Altman die Musikstadt Nashville untrennbar mit den damals aktuellen politischen und gesellschaftlichen Problemen in den USA assoziiert. Nashville ist hier nicht nur Countryhauptstadt, sondern vielmehr der Ort, an dem sich amerikanisches Selbstverständnis mehr noch als in Los Angeles oder Las Vegas zeigt. So steht der Film ganz im Zeichen des desillusionierten Blicks auf die USA infolge von Vietnam, Watergate und Richard Nixon, wie er so viele „New Hollywood“-Filme kennzeichnet, von „Five Easy Pieces“ bis „Taxi Driver“. Denn den alles zusammenhaltenden Rahmen von „Nashville“ bildet die Wahlkampagne des populistischen, parteilosen Präsidentschaftskandidaten Walker, dessen Triaden gegen das amerikanische Establishment den ganzen Film über immer wieder von einem durch die Stadt fahrenden Van aus zu hören sind. Jene bitteren Anklagen verleihen den vielen feierlichen Musikeinlagen eine bissige Doppelbödigkeit. Dass der Kandidat im Film weniger selbst, als durch seinen Stab an Beratern und Wahlkampfhelfern präsent ist, kann man sicherlich als sarkastische Pointe auf den im Zuge der Watergate-Affäre undurchschaubar erscheinenden amerikanischen Politbetrieb deuten.
Kulminationspunkt des Films ist schließlich ein großes Open-Air-Konzert im Parthenon der Stadt, bei dem Walker und seine Entourage sowie das Musikestablishment versammelt sind. Beim Duett der Countrystars Haven Hamilton und Barbara Jean zieht ein Zuschauer im Publikum eine Waffe und erschießt Barbara. Hektik bricht aus, wie benebelt greift Haven hastig zum Mikrofon und stammelt „This isn’t Dallas, ok? We’re in Nashville“. Bevor man als Zuschauer irgendeinen Überblick auf das Geschehen bekommt, steht schon der nächste Star auf der Bühne und singt mitsamt klatschendem Gospelchor lauthals „It Don’t Worry Me“. The show must go on …
Trotz all solcher Szenen wehrte sich Altman stets dagegen, als Satiriker bezeichnet zu werden. In der jüngst erschienen Dokumentation „Altman“ ist ein Interviewausschnitt zu sehen, in dem er erklärt, er selbst habe sich nie als solcher verstanden. Und in der Tat ist sein am Ende doch liebevoller Blick auf die eigene Heimat nicht jener gönnerhaft Herabblickende, der bei europäischen Intellektuellen jener Zeit mit Blick auf die USA häufig vorzufinden war, sondern einer, der ganz nüchtern die Diskrepanz zwischen amerikanischen Traum und amerikanischer Realität abtastet – und ironischerweise gerade damit zu noch bissigeren Pointen gelangt. Wenn seine Filme eine hässliche Seite Amerikas zeigen, dann eben deshalb, weil es das ist, was er sehe und vorfinde, so Altman. Einen ungeschönteren, süffisanteren, unterhaltsameren, ja epischeren Blick auf die amerikanische Gesellschaft als in „Nashville“ hat es jedenfalls selten im Kino zu sehen gegeben.