Roots von Jörg Feyer

Wir sind hier nicht bei Arabella. Auch nicht bei Bärbel, Vera oder Ilona. Dennoch bekenne ich: VINCE GILL thrills me. Manchmal jedenfalls. Weithin als aalglatter Seelentöter verschrien, lockt der alerte Hüne mit dem attraktiven Tenor vermutlich den Kitsch-Hansel in mir. „High Lonesome Sound“ (MCA), sein neues Album, hätte trotzdem kaum Eingang in diese Kolumne gefunden, wenn es nicht – für seine Verhältnisse – erstaunlich rootsy klänge und somit die Lücke zwischen seinen Live-Shows und seinen Studio-Aktivitäten zumindest ein gutes Stück schrumpfen ließe. Der Mann aus Oklahoma orientiert sich endlich wieder an seinen Bluegrass-Beginnings, ansonsten auch gern Cajun, Country und bluesy New Orleans, und spielt auch seine Fähigkeiten als Gitarrist konsequent aus. Was im Ergebnis schon mal so klingt, ab hätten Linie Feat endlich wieder einen guten Sänger verpflichtet Der Griff in den Schmalztopf fehlt natürlich auch nicht Für alle bekennenden Kitsch-Hansel. 3,0

In Marty Stuart, der denn auch gleich seine Mandoline auspacken durfte, hat KEITH GATTIS zweifellos sein passendes role model gefunden. Als Inspirationsquelle nennt der smarte Hillbilly-Rocker, dessen reif-kernige Stimme seine Babyface-Optik konterkariert, ausdrücklich (un?)bewältigte „heartaches“. Logisch also, daß es auch auf „Keith Gattis“ (RCA/ARIS) in überwiegend selbstverfaßten, sehr soliden Songs gleich zehnmal um zwei Dinge geht, die im Gefühlsrepertoire eines „Heartache Hero“ (Songritel) offenbar auf ewig zusammengehören: männlicher Masochismus („The Puppet“) und die große Träne danach – und das im allerfeinsten Twin-Fiddles-Sound. 3,5

DALE WATSON darf ein paar Songs mehr aufnehmen, weil er da unten in Texas nicht an die Regeln des Nashville-Business gebunden ist. Der Mann mit den traurigen Augen – durchaus ein Fall für Hollywood – entpuppt sich auf seinem zweiten Album mit dem etwas pathetischen Titel „Blessed Or Damned“ (Hightone/Semaphore) erneut als Offenbarung für strikte Traditionalisten, deren feuchteste Träume schon immer die personelle Quersumme aus, sagen wir: Merle Haggard, Waylon Jennings und Bück Owens imaginierten. Und ein toller Songwriter, der nicht nur in „Shortcut To The Streets Of Gold“ über den Tellerrand eigener Befindlichkeiten hinausblickt, ist Watson auch noch. Blessed, würde ich sagen. 4,0

Wir bleiben in Texas, orientieren uns aber von Austin Richtung NorthBy-Northwest, wo KIMMIE RHODES unterm „West Texas Heaven“ (Justice/IRS) eine Stimme spazierenfuhrt, die zu beschreiben nur in schönen Klischees enden kann, die von Engeln, Austeißerinnen und Gebirgsbächen erzählen. Da Rhodes zudem eine formidable Songwriterin ist, die mit beiden Beinen in der endlosen Prärie steht, aber auch philosophische Exkurse („Maybe We’ll Just Disappear“) nicht scheut, kann es kaum verwundern, daß sich die Lone-Star-Stars (Willie Nelson, Waylon Jennings, Townes Van Zandt, Joe Ely) zum Duett die Studioklinke gleich am Stück in die Hand drückten: ein Zirkus der Attraktionen, der aber nie vom eigentlichen Star in der Manege ablenkt Und der ist nicht die Mannschaft, sondern eine Frau. 4,5

Treffen sich zwei USA-müde Amerikaner im gemeinsamen Exil Norwegen… So könnten Witze anfangen. Aber „No Offence“ (Glitterhouse/EFA) von STORMWINDOWS ist kein Witz, sondern ein durchweg hörbares Folk-Rock-Album, mit dem Jon Borcherding und Renette Marshall die Genre-Traditon des Mann/Frau-Duos beleben. Auch wenn es nur ausnahmsweise morbid wird („Drowning“), sind die Lyrics doch nicht immer so hippiehaft-beschaulich, wie’s die Coverrückseite suggerieren mag. Dazu sorgen norwegische Studio-Cracks für einen Sound, den man so vitaL direkt und vielseitig nicht erwartet hätte. Warum denn eigentlich nicht? 3,0

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