Ry Cooder – Into The Purple Valley :: Ry Cooders Americana-Meisterwerk aus dem Jahr 1972
Harry Smith und Alan Lomax haben sich zweifellos gar nicht hoch genug zu schätzende Verdienste erworben, als es darum ging, die Volksmusik der Vereinigten Staaten von Amerika aus den 100 Jahren vori95O vor dem Furor des Vergessens und Verschwindens zu retten. Ry Cooder hat mit seinen frühen Solo-LPs allerdings auch einen kaum zu überschätzenden Beitrag dazu geliefert. Kollegen von John Hammond jr. bis Martin Simpson (und nicht zu vergessen Bruce Springsteen) gaben öffentlich zu, dass sie viel denkwürdiges und ganz großes Liedgut dieser Jahre überhaupt erst durch Cooders Platten kennenlernten. Nick Kent bezeichnete den Mann anlässlich von „Chicken Skjn Music“ mal als „proverbial mad scientist“. Was der wiederum sicher als zumindest weniger ehrenrührig betrachtet haben dürfte denn den öfter zu lesenden Begriff „Eklektizist“.
Man tritt ihm sicher nicht zu nahe, wenn man in diesen frühen Platten — erst recht nach der kürzlich abgeschlossenen „L.A.-Trilogie“ — auch einen gewissen missionarischen Eifer am Werke sieht. Gleichzeitig stellte Cooder des öfteren schon manchmal vielleicht auch etwas kokett – seine eigene schöpferische Leistung unziemlich unter den Scheffel. Etwa wenn er behauptete, er habe ja gar nicht das Riff von „Honky Tonk Woman“ erfunden, sondern nur von John Lee Hooker „übernommen“.
Aber das, was er aus von ihm geschätzten Songs machte, war denn doch immer wieder mal unerhört bis schlicht genial.
Jahrzehnte bevor Rick Rubin Johnny Cash auf wundersame Weise „rehabilitierte“, hatte er sich mal dessen „Hey Porter“ vorgenommen und durch ein geradezu atemberaubend „altmodisches“ Arrangement aus der Vorlage einen Folk-Klassiker der Dustbowl-Ära gemacht. Und damit Johnny Cash nebenbei in eine Ahnenreihe mit den ganz Großen wie Leadbelly und Sleepy John Estes, Blind Blake und Woody Guthrie, Alfred Reed und Blind Willie Johnson gerückt. Was der selber seinerzeit mit Sicherheit gar nicht begriffen haben dürfte, als das auf Cooders zweiter LP 1972 erschien. Die schaffte es damals auch gerade mal auf Platz 113 der „Billboard“-Hitparade. VJas immer noch erstaunlich genug war für eine von so gar keinerlei Wehen des Zeitgeistes inspirierte Platte, für die Coproduzent Lenny Waronker immerhin im Etat genug Geld für ein ganz hinreißendes Klapp-Cover gebilligt hatte.
„Into The Purple Valley“ ist eine von Cooders fünf frühen – ahem – „Solo“-LPs, die in Japan endlich remastered vorgelegt wurden und bei denen man nicht geizte: neue Liner Notes und sämtliche Songs kommentiert (wozu man halt des Japanischen mächtig sein muss) und alle Songtexte original und ins Japanische übersetzt. Nicht ganz nachvollziehbar nur, warum nur in dem Fall das gute Dutzend Sessions-Cracks (Mut Holland, Jim Keltner, Van Dyke Parks, Jim Dickinson usw.) nicht namentlich erwähnt wird, der Name des für das Remastering zuständigen Technikers aber sehr wohl. Überfällig war das — wie bei Van Morrisons „Astral Weel^s“, „Moondtmcc“ und „His BandAnd The Street Choir“, die jetzt ebenfalls in der „Forever Young“-Serie neu aufgelegt wurden! – schon lange.
Praktisch durchweg fabelhaft produziert, egal ob in diversen Studios in Burbank und North Hollywood, in Memphis, Muscle Shoals oder Collierville, Tennessee, hört man hier so recht, was Veteran Lee Herschbergund seine Tontechniker da an exzellentem Job ablieferten. Irgendwas von wegen „museal“ wird hier sicher niemand mehr murmeln. Das war damals eine so einsame Klasse von Produktionen, wie man sie jetzt von einem Joe Henry oder T Bone Burnett gewohnt ist. Entstanden sind dabei Aufnahmen, bei denen beispielsweise „Dark End Of The Street“ den Vergleich mit dem James-Carr-Original jederzeit aushält, was den eigenständigen Rangder Interpretation angeht. Die von „Billy The Kid“ fand wiederum Dave Edmunds sofort so definitiv, dass er sie schamlos ohne viel Federlesen ziemlich exakt so übernahm. Blind Willie Johnsons Gospelblues-Klassikcr „Dark Is The Night (Cold Is The Ground)“ hielt Cooder seinerseits immer schon für so süperb, dass er mit dem und Paraphrasen zu demselben später den kompletten „Paris, Texas“-Soundtrack bestritt. Was Cooder bei seinem Debüt aus Blind Alfred Reeds‘ „How Can A Poor Man Stand Such Times And Live“ machte, kann nur wirklich ermessen, wer die (sagen wir mal vorsichtig: musikalisch wie emotional nicht ganz so fesselnde) Originalaufnahme kennt. Besser geht nicht! Dachte sich offenbar Jahrzehnte später noch Bruce Springsteen.
Dass Cooder die Rolling Stones-Deutung von „It’s All Over Now“ für einen ziemlich barbarischen Akt von Verhunzen hielt, hat er ab und an als glühender Bobby-Womack-Fan nicht geleugnet. Weshalb er davon eine ganz eigenwillige und wunderbare eigene Interpretation für op. 4 aufnahm. Für dasselbe Album von Blind Willie McTells „Married Man’s A Fool“ und Burt Bacharachs „Mexican Divorce“ ja auch. Als Kontrapunkt zum Willie-McTell-Song adaptierte und schrieb er mit Russ Titelman von Folk-Legende Washington Phillips „You Can’t Stop A Tattier“ um und fort für dieselbe Platte – „Tattier“ auch als eine grandiose Hymne auf eheliche Treue. Phillips‘ urigen, für heutige Ohren nicht unkomischen „Denomination Blues“ („The primitive Baptists, they believe/ That you can’t go to heaven lest you wash your feet“) hatte Cooder schon für „Into The Purple Valley“ brillant arrangiert aufgenommen.
Gnadenlos gut an Mandoline und Slide-Gitarre, konnte man auch und zumal beim mittlerweile politisch unkorrekten „Fool For A Cigarette“-Blues hören, was Jim Keltner an seinem Brötchengeber immer grenzenlos bewunderte und warum: den Renaissance-Menschen mit einem so umfassenden Wissen in Sachen roots music und musical roots, das ihm Ausnahmerang sichert. Das Frühwerk von Maestro Cooder neu zu entdecken, ist hier bei allen fünf Platten ein großes musikalisches wie auch (klang)sinnliches Vergnügen.