Sandy Dillon – Living In Dreams :: Die Dekonstruktions-Sirene bleibt diesmal eher konventionell
Manchmal ist das Leben der Kunst voraus, zumal wenn es besonders grausam daherkommt. Schon 2001 verstarb – gerade mal Anfang 50 – Steve Bywater. Sandy Dillons langjähriger Partner in allen Belangen. Wenn sie jetzt zum Auftakt von „Living In Dreams“ mit „Can’t Afford To Lose My Man“ auf den Spuren von Memphis Minnie wandelt, klingt diese persönliche Katastrophe natürlich immer noch nach, doch beschwört sie damit auch dieses Leben, ihr so etwas nicht ein zweites Mal anzutun. Denn nach Bremen, wo „Living In Dreams“ in nur vier Studiotagen entstand, kam die Exil-Amerikanerin aus Cape Cod mit ihrem neuen Gefährten Ray Majors, als Gitarrist schon für Mott The Hoople und die Yardbirds im Einsatz. Als Produzent fungierte David Coulter, der ein ausgesuchtes Instrumente-Arsenal samt singender Säge, Nasenflöte und „Vocal Percussion“ in Stellung brachte.
Diesen Exotika zum Trotz wird Dillon ihrem Ruf als große Dekonstruktions-Sirene hier nur bedingt gerecht (vor allem mit einerwindschiefen, gut siebenminütigen Exkursion durch Blind Lemon Jeftersons „Bad Luck Blues“), während „Sporting Life Blues“, ihr eigenes „Lilly’s Hurt Me Blues“ und selbst Duke Ellingtons „Chocolate Shake“ – bei allem Willen zur Verfremdung- vergleichsweise konventionell bleiben. Aber da ist ja immer noch diese Stimme, die man nicht immer ertragen kann, die aber ihre Wirkung kaum verfehlt, wenn man sie hört. Weiterhin stellt Sandy Dillon den androgynen Zauber des Pop einfach auf den Kopf.
Mit den Credits nimmt sie es dafür nicht so genau. „Saliva Gland“, eine bebende Zwiesprache mit einer von mehreren bösen Krankheiten, die Dillon vorübergehend zu untätiger Krankenhaus-Isolation verdammten, ist natürlich „You Gotta Move“ mit anderem Text, aber Mick und Keith haben damals auf „Sticky Fingers“ ja auch einfach ihre Namen druntergeschrieben…
Zuletzt lässt Sandy Dillon alles hinter sich, den Flirt mit Hades, den Tanz auf den Gräbern, und flüchtet ins letzte Paradies „I know all there is to know“, singt sie im ruhig atmenden „Living In Dreams“, das noch einmal den Zauber unbeschwerter Sommertage zwischen Cotton Candy, Strandpromenade und dem Rücksitz von Dads alter Schleuder heraufbeschwört. Was bleibt auch sonst, wenn das Leben der Kunst mal wieder voraus ist – oder ihr in die Quere kommt.