Sarah McLachlan – Fumbling Towards Ecstasy :: Erweiterte Luxus-Ausgabe des Albums von 1994
Die Idee hätte glatt von Randy Newman stammen können: In“Suzanne“ fand dessen Ich-Erzähler im Telefonbuch Namen und Adresse einer Frau, über die er fantasiert: „Gonna run my fingers through your hair/And love you everywhere“ – und schon mal gesteht: „Now I don’t want to get too romantic/ That’s not my way…“
Ganz ähnlich erzählt Sarah McLachlan, ebenfalls in der ersten Person, in „Possession“ die Geschichte einer angekündigten Vergewaltigung, dabei in die Rolle des einsamen Lüstlings schlüpfend („The night is my companion and solitude my guide“), der seinem Opfer androht: „I would be the one to hold you down/ Kiss you so hard/ I’ll take your breath away“, der aber verspricht, dass er danach ihre Tränen wegwischen werde. Das Lied sang sie auch gleich zweimal auf der Platte, einmal am Anfang so, als wäre es eine Ballade von Judy Collins circa 1965, nur modisch von ihrem Produzenten mit Drum Loops und viel Keyboards „aktualisiert“, am Ende solo, sich am Piano begleitend, die perversen Fantasien durch ihren sehnsüchtigen Vortrag auf eine ganz bizarre Weise ausmalend. Dass ausgerechnet dieser Song mit der ausgefallenen Thematik ihr bis dahin erfolgreichster sein würde, hatte sie selbst sicher nie erwartet. Aber nach Suzanne Vegas „Luka“ war nichts unmöglich.
Kein gewöhnliches Liebeslied war „Hold On“, die Chronik eines angekündigten Todes des Liebsten, die sie auch sängerisch als Drama inszeniert, bei allem Schmerz unverbrüchliche Liebe über den Tod hinaus beschwörend. Auf der Basis von kleinen Hits wie „Good Enough“ und viel Mundpropaganda entwickelte sich die Platte ganz langsam zum Bestseller. Was zum einen sicher damit zu tun hatte, dass hier kein Song merklich qualitativ abfiel, zum anderen auch mit dem Ehrgeiz, mit dem sie das Projekt angegangen hatte. Die Proben dazu, auf „The Freedom Sessions“ zwei Jahre später nachgereicht, hätten andere mit weniger Anspruch an sich selber womöglich schon als fertiges Album freigegeben. Nicht so Sarah McLachlan. (Die Sessions findet man bei dieser „Anniversary Edition“ als Zugabe auf der zweiten CD.) Jetzt wieder gehört, drängt sich auch aus der Distanz von 15 Jahren bisweilen der Eindruck auf, dass sie ihrem Produzenten doch zuviel freie Hand ließ bei den gelegentlich unnötig überfrachteten Arrangements. Was möglicherweise auch damit zu tun hatte, dass sie selbst den Songs in „skelettierten“, nackteren Früh-Fassungen nicht so recht traute. Schon bei besagten „Freedom Sessions“ handelte es sich überhaupt nicht um übliche Demos. Die Songs waren da auch schon regelrecht „produziert“ (auch die bei den Gelegenheiten eingespielte Cover-Version von Tom Waits‘ „Ol‘ 55“ ziemlich dramatisch inszeniert). Ob das ganze Sound-Design, das Pierre Marchand „Fumbling Towards Ecstasy“ angedeihen ließ, auch immer zwingend nötig war, erscheint rückblickend manchmal doch fraglich. Im Fall von „Hold On“ klingt die Alternativ-Fassung fast spannender, in der Reduktion eindrucksvoller.
Das war womöglich wiederum der Grund dafür, dass Miss McLachlan ihr Gesamtwerk nicht in einem exemplarischen Box-Set gewürdigt wissen wollte, sondern über die Jahre hinweg immer neue CDs mit Alternativ- und Outtakes, Live- und Remix-Fassungen vieler Songs veröffentlichte, so das eigene Archiv bis auf letzte Reste plündernd. Und das mehr, als von irgendeiner Singer/Songwriter-Kollegin sonst bekannt.
So etwas wie ihr persönliches Standards-Album ist dabei „Rarities, B-Sides And Other Stuff“ (* * * 1/2) — Songs von und teils mit Beatles, Joni Mitchell und Cyndi Lauper, Righteous Brothers und Paul Simon, „Angel“ in einem wunderschönen Duett mit Emmylou Harris (der eigene Song, nicht der von Jimi Hendrix) und „When She Loved Me“ komponiert, arrangiert, orchestriertund dirigiert von Randy Newman für den „Toy Story 2“-Soundtrack. Eine ganz famose Interpretation, weil nicht so krampfhaft originell wie die von „Unchained Melody“.
Viel Krampf dagegen bei den Remixes von „Possession“, „Angel“, „Hold On“ und anderen auf „Remixed“ (Arista, * 1/2). Die erinnern dann wieder daran, dass „Possession“ von Vergewaltigung handelt.